Das dritte Amtsjahr von EZB-Chefin Christine Lagarde wurde eine Zäsur für die Geldpolitik im Euroraum. Unter dem Eindruck einer außer Kontrolle geratenen Inflation agierte die EZB zunächst zögerlich, dann wild entschlossen, ihren ramponierten Ruf zu retten: Sie beendete die Ausweitung der Anleihekäufe, verließ den Negativzinsbereich und erhöhte die Leitzinsen mit mehreren großen Schritten auf rund 2 %.
Den Rücken hält ihr dafür das TPI (Transmission Protection Instrument) frei, ein geldpolitisches Werkzeug zum flexiblen Ankauf von Staatsanleihen, das es ihr ermöglicht, die Risikoaufschläge im Euroraum bei Bedarf zu kontrollieren. Bislang reichten der EZB aber noch die Reinvestitionen im Rahmen ihres riesigen Anleiheportfolios aus, um die Spreads im Euroraum unter Kontrolle zu halten.
„At some point in time, we will have of course to identify the rate which will deliver the 2 % medium-term [inflation] target“
EZB-Präsidentin Lagarde bei der Pressekonferenz am
27. Oktober 2022
Derzeit sitzen die geldpolitischen Falken am längeren Hebel, aber mit jeder Zinsanhebung dürfte der Widerstand der Tauben im EZB-Rat wachsen. Die Sorge vor einer langanhaltenden Rezession, einer Krise des Finanzsystems und erdrückenden Zinslasten dürften sie schon bald auf den Plan rufen.
Eine kritische Marke sehen wir bei einem Hauptrefinanzierungssatz von 2,75 %. Die entscheidende Bedingung für einen Stopp ist allerdings, dass es deutliche Hinweise für ein Zurückweichen der Inflation gibt. Danach könnte die EZB ihren Straffungskurs noch mit einem vorsichtigen Abbau ihrer Billionen schweren Anleihebestände absichern.
In den USA sind die Leitzinsen im Eiltempo auf Kurs ins restriktive Territorium. Im ersten Quartal 2023 dürfte die Fed den Zinserhöhungskurs bei einer Federal Funds Rate von knapp 4,5 % aussetzen und zunächst die Wirkung der bereits erfolgten Straffung abwarten.
Die Zinserhöhungen der vergangenen Monate haben bereits zu einer drastischen Verschärfung der monetären Bedingungen geführt: Die Aktienkurse sind niedriger, die langfristigen Zinsen höher und der Dollar stärker. Die passive Bilanzreduktion dauert zudem mit 90 Mrd. US-Dollar pro Monat zunächst an.
Dies wird die Konjunktur und die Inflation weiter dämpfen. Niedrigere Ölpreise und eine Entspannung bei den Lieferkettenengpässen helfen der Fed. Am US-Arbeitsmarkt sollte der Lohndruck nachlassen, die schwächere Konjunktur und eine leicht steigende Erwerbsbeteiligung sorgen für Entlastung.
Allerdings wird die Teuerung, gerade auch gemessen an der Kernrate, 2023 so hoch bleiben, dass es die Notenbank nicht riskieren wird, die Zinsen schon wieder zu senken. Fed-Präsident Powell hat mehrfach betont, dass eine der wichtigsten Lehren aus vergangenen Inflationsschüben sei, den Restriktionsgrad der Geldpolitik nicht zu schnell wieder zu lockern. Die milde Rezession in den USA, die wir für 2023 erwarten, wird dafür keinen hinreichenden Anlass bieten.
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