Anleiheinvestoren dürften mit einem weinenden und einem lachenden Auge auf 2022 zurückblicken. Bis Ende Oktober waren einerseits Kursverluste bei deutschen Staatsanleihen von rund 15 % zu verzeichnen.
Andererseits wurde das unattraktive Negativzinszeitalter zügig überwunden. Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen kletterte zeitweise bis auf 2,5 %. Im Spannungsfeld zwischen Konjunktur- und Inflationssorgen kam es dabei beiderseits des Atlantiks zu heftigen Kursbewegungen. 10-jährige US-Treasuries übersprangen die Marke von 4 %.
Während sich die Situation für Schuldner deutlich verschlechtert hat, verbesserte sich die Lage für die Sparer. Vor allem Kapitalsammelstellen wie Pensionskassen und Lebensversicherungen profitieren von der Zinsniveauverschiebung. Neuengagements bieten nun wieder eine relativ attraktive Verzinsung. Je höher die Renditen steigen, desto beherzter dürften Anleger zugreifen, was den Rentenmarkt vor weiteren massiven Kursrückschlägen schützen sollte.
Aufgeschreckt von der rekordhohen Inflation leitete die EZB eine historische Zinswende ein. Spätestens zur Jahresmitte 2023 sollte das zyklische Hoch bei den Leitzinsen aber erreicht sein. Dies gibt erfahrungsgemäß wieder Spielraum für sinkende Kapitalmarktzinsen. Die Zinskurve würde dann im zweiten Halbjahr flach bzw. invers werden.
Mit markanten Renditerückgängen ist allerdings nicht zu rechnen. Die Inflation sinkt zwar, bleibt insgesamt jedoch historisch hoch. Real betrachtet sind Renten damit weiter eher ungünstig bewertet. Hinzu kommt die Unsicherheit, in welchem Umfang die EZB ihre Anleihebestände reduziert. Immerhin befinden sich über 40 % der umlaufenden Euro-Staatspapiere in den Depots der Notenbanken. Ein Abbau der EZB-Bilanzsumme auf diesem Weg birgt in Zeiten zunehmender staatlicher Emissionstätigkeit neue Stabilitätsrisiken.
Eine schwache Konjunktur, wachsende Staatsausgaben und eine liquiditätsverknappende Geldpolitik erhöhen in Kombination mit politischen Fehlentscheidungen die Wahrscheinlichkeit für steigende Risikoaufschläge. Großbritannien hat gezeigt, wie schnell dieser Fall eintreten kann. Unerfahrene Regierungen, wie die neue italienische, stehen ohnehin unter kritischer Beobachtung der Investoren. Aber auch für Bundesanleihen ist die Situation nicht mehr so komfortabel wie früher.
Die EZB wird im Rahmen ihrer flexiblen Refinanzierungsgeschäfte in kritischen Phasen eher auslaufende südeuropäische Staatsanleihen in ihrem Portfolio ersetzen als deutsche Papiere.
Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen dürfte am Jahresende 2023 bei 2,3 % notieren. Vom US-Rentenmarkt ist dabei mit abnehmenden Gegenwind zu rechnen. Die Anzeichen werden sich verdichten, dass die US-Notenbank 2024 wieder etwas lockert. Die Rendite 10-jähriger US-Treasuries sollte in diesem Fall zu Jahresende sehr wahrscheinlich unter der 4 %-Marke notieren.
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