In den drei zentralosteuropäischen Ländern zeichnet sich für 2024 ein verhaltener konjunktureller Aufholprozess ab – stärker als im Durchschnitt der Eurozone, aber noch nicht auf der Höhe der Wachstumsraten vor Pandemie und Ukraine-Krieg. Der private Verbrauch erholt sich zögerlich, Reallohneinbußen werden nur langsam durch Lohnsteigerungen wettgemacht. Sie treiben die Kosten und stellen Unternehmen vor die Wahl zwischen geringeren Gewinnen oder Preisanpassungen, die allerdings nicht in vollem Umfang durchsetzbar sein dürften.
In den Fokus rückt auch wieder die Entlastung der öffentlichen Haushalte. Zum Teil sind Steuererhöhungen geplant, so in Tschechien. Dies verzögert den Abbau der Inflation, die 2024 oft noch zäh ist. Die Teuerungsraten werden im Durchschnitt aber unter den Vorjahreswerten liegen, zwischen 2,7 % (Tschechien) und 5,3 % (Polen).
Die hohe Inflation hat v. a. in Ungarn kräftige Lohnsteigerungen nach sich gezogen, in Polen dürften zudem die Wahlen im Oktober ein Motiv für deutliche Mindestlohnanhebungen gewesen sein. Zwar liegen die Mindestlöhne in den drei Ländern noch deutlich unterhalb des deutschen Niveaus, jedoch schmilzt dieser Standortvorteil bei fortgesetzt rasantem Anstieg.
Weiterhin unterstützen allerdings großzügige Staatssubventionen die Ansiedlung ausländischer Unternehmen, wie zuletzt bei einem Werk für Kathodenmaterial in Polen. Darüber hinaus können Gelder im Rahmen der EU-Klimapolitik genutzt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit bei der E-Mobilität weiter auszu-bauen.
Höhere Löhne und – in unterschiedlichem Ausmaß – sinkende Preise sollten im Laufe von 2024 dem privaten Verbrauch in Polen, Tschechien und Ungarn auf die Beine helfen. Unternehmensinvestitionen kommt der abwärts gerichtete Zinstrend zugute. Die Exporte dürften zwar von der stärkeren Konjunktur bei den Handelspartnern profitieren, allerdings treibt eine zunehmende Inlandsnachfrage auch die Importe an.
Ein Impuls kommt in allen drei Ländern von höheren Verteidigungsausgaben. Polen strebt mit einem Anteil am BIP von über 4 % einen deutlich höheren Wert an als die von der NATO geforderten 2 %. Insgesamt ist für 2024 von einem BIP-Wachstum zwischen 2,2 % in Tschechien sowie 3,2 % in Ungarn auszugehen.
Die Geldpolitik verbessert die Rahmenbedingungen für die Konjunktur: Angesichts schwacher Wirtschaftsdaten haben die Notenbanken in Ungarn und Polen auf der Basis der abnehmenden Teuerung bereits die Zinswende eingeläutet. Ein Quäntchen Hoffnung, dass die hohen Inflationszahlen durch den Basiseffekt quasi automatisch eingebremst werden, dürfte dabei wohl eine Rolle gespielt haben. Offenbar überwiegen Rezessionsängste.
Die Nase vorn hatte dabei die polnische Zentralbank, die kurz vor den Parlamentswahlen im Oktober den Leitzins in zwei Schritten um 100 Basispunkte auf 5,75 % gesenkt hat. Die ungarische Notenbank hat bereits seit Mai 2023 den kurzfristigen Einlagesatz stetig reduziert und inzwischen auch mit dem Leitzins nachgezogen. Die tschechische Zentralbank agiert zurückhaltender, dürfte aber im vierten Quartal 2023 das Trio komplett machen.
Alle drei Notenbanken werden 2024 an dem eingeschlagenen Kurs festhalten. Wegen der späteren Zinswende der EZB nimmt der Spread zu den EZB-Leitzinsen wieder ab. Mögliche Stolpersteine, wie Inflationsimpulse durch eine schwächere Währung oder höhere Löhne, stehen zumindest in Polen und Ungarn hinter dem Ziel eines stärkeren Wirtschaftswachstums zurück.
Da die Leitzinsen schon im Vorgriff auf eine deutlich sinkende Inflation zurückgenommen wurden und auch nicht in jedem Fall mit starken Wechselkursen zum Euro unterlegt sind, besteht das Risiko, die Märkte zu verunsichern. Im „Risk-off“-Modus kann dies zum Abzug liquiden Kapitals führen: Die Währungen werden dann geschwächt und damit die Importe verteuert, was eine Rückführung der Inflation behindert.
„Brüssel ist nicht unser Chef. Wir sind eine
unabhängige (...) Nation“
Viktor Orbán, ungarischer Ministerpräsident, 2022
Dies dürfte insbesondere Ungarn betreffen, das die höchste Auslandsverschuldung sowie die volatilste Währung der drei Länder aufweist und auch abseits von Wahlkampfzeiten seit Jahren am stärksten auf Konfrontation mit der EU geht. Dabei sind die Milliarden aus Brüssel angesichts gestiegener öffentlicher Defizite und schwacher Wachstumsdaten mehr als willkommen: Für Polen und Ungarn ist voraussichtlich über 2024 hinaus mit Budgetdefiziten oberhalb der Maastricht-Grenze von 3 % des BIP zu rechnen.
Während Tschechien im März 2023 die ersten Zahlungen aus dem Wiederaufbaufonds des Programms NextGenerationEU abrufen konnte, gehen Polen und Ungarn bislang leer aus. Vor einer Auszahlung möchte die EU-Kommission definierte Meilensteine erfüllt sehen, bei denen es insbesondere um die Rechtsstaatlichkeit geht. Die Länder riskieren außerdem Einbußen bei Kohäsionsfondsmitteln, die seit Ende 2022 eingefroren sind, um den Druck zu erhöhen. Die Gefahr ist groß, dass der ungarische Ministerpräsident Orbán mit seiner Strategie erfolgreich ist, EU-Entscheidungen zu blockieren, um eine Auszahlung zu erwirken, und dass dies Schule machen könnte.
So ist die Mannschaftsfähigkeit im „Team EU“ harten Belastungsproben ausgesetzt – in einer Zeit, in der angesichts wirtschaftlicher und geopolitischer Probleme Geschlossenheit notwendiger denn je wäre. Eine Verbesserung im Verhältnis zur EU und Fortschritte bei der Auszahlung von EU-Geldern dürfte der Wahlsieg der polnischen Opposition unter Führung des früheren EU-Ratspräsidenten Donald Tusk bringen, wenn sie tatsächlich die Regierung stellt.
Laut Umfragen wäre es ohnehin nicht notwendig, durch Konfrontation mit der EU auf Stimmenfang zu gehen. Im Eurobarometer vom vergangenen Sommer war der Anteil der Befragten, die der EU vertrauen, gerade in Polen und Ungarn deutlich größer als der Anteil der Skeptiker und lag sogar markant über dem EU-Durchschnitt.
Nach der Euro-Einführung gefragt, äußerten sich die Ungarn mit Abstand am euphorischsten: fast drei Viertel der Befragten möchten die gemeinsame Währung übernehmen, über 40 % so schnell wie möglich. Vor dem Hintergrund der (vielfach kritisierten) EU-Ratspräsidentschaft Ungarns im zweiten Halbjahr 2024 sollten diese Umfrageergebnisse den Regierenden zu denken geben.
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