Die wichtigsten Spieler auf dem Platz werden auch 2024 die Notenbanken sein. Nach der verspäteten, dann aber massiven Straffung 2022/2023 sind Fed und EZB am Zinsgipfel angekommen. Erstaunlicherweise scheint die Konjunktur in den USA und in der Eurozone trotz der in kurzer Zeit kräftig gestiegenen Leitzinsen noch einmal mit einem blauen Auge davonzukommen. Eine schwere Rezession blieb aus. Der Arbeitsmarkt ist auf beiden Seiten des Atlantiks unverändert äußerst angespannt. Ändert sich daran 2024 etwas? Dies ist zusammen mit der Inflationsentwicklung der entscheidende Faktor für die Geldpolitik in den kommenden zwölf Monaten.
Ob die Spielmacher in den Notenbanken im Eifer des Gefechts nicht schon zu weit aus dem Mittelfeld in die gegnerische Hälfte vorgeprescht sind und zu viel gestrafft haben, wird eine der zentralen Fragen für 2024 sein. Allerdings ergibt sich nur Spielraum für die an den Finanzmärkten erwartete Lockerung, wenn die Zentralbanken genug getan haben, um die Inflation wirklich einzudämmen. Dies scheint derzeit noch nicht sicher, aber aus unserer Sicht wahrscheinlich.
In der Geldpolitik ist daher eine große Flexibilität erforderlich, die unserer Erwartung nach im Jahresverlauf zu einer ersten Korrektur der aktuell sehr restriktiven monetären Bedingungen führen wird. Dabei handelt es sich aber im Basisszenario – zumindest im Fall von EZB und Fed – nicht um die übliche hektische „Wir haben überzogen!“- Kehrtwende wie in den letzten Zinszyklen.
Stattdessen gehen wir von einer eher vorsichtigen Korrektur des Leitzinsniveaus aus – einem Vorantasten angesichts der Angst der Notenbanken, die Inflation nicht lange genug bekämpft zu haben. Eine Ausnahme ist Zentralosteuropa, wo die Leitzinsen bereits gesenkt wurden.
Das wirtschaftliche Umfeld wird dabei 2024 aus geldpolitischer Perspektive erneut ziemlich anspruchsvoll sein. Die großen Wirtschaftsblöcke werden sich zwar konjunkturell erholen, was eigentlich gegen eine Lockerung spricht, der Aufschwung dürfte jedoch meist gedämpft ausfallen, so dass der Auslastungsgrad der Wirtschaft nicht spürbar steigt. Gleichzeitig geht die Inflation weiter zurück.
Damit rücken zum einen die Ziele der Notenbanken näher. Wegen der langen Wirkungsverzögerung der Geldpolitik kann der Restriktionsgrad nicht einfach stur bis zu deren Erreichen beibehalten werden. Zum anderen würden fallende Inflationserwartungen bei unveränderten Nominalsätzen die Realzinsen steigen lassen. Wir gehen davon aus, dass die wichtigsten Notenbanken diesen Effekt zumindest eindämmen wollen und daher im Verlauf des Jahres ihre Leitzinsen graduell senken.
Geschmeidiges Dribbling wird auch in der Geopolitik gefragt sein. Die Weltwirtschaft droht, in zwei Technologie- und Handelsblöcke zu zerfallen. In den Industrieländern gewinnen Protektionismus und eine aktive Industriepolitik – letztlich ein Nullsummenspiel, in dem primär private Unternehmen mit Steuergeldern beschenkt werden – an Popularität. Unter anderem dürfte der Wahlkampf in den USA dafür sorgen, dass diese Themen 2024 in den Schlagzeilen bleiben.
Vor allem die andauernde Debatte über das künftige Verhältnis zu China, der wir unter anderem den unschönen, aber fast schon allgegenwärtigen Begriff des „De-Risking“ verdanken, wird neben diplomatischem Ballgefühl auch eine solide und möglichst gut abgestimmte Taktik erfordern. Dabei sorgt in den Industriestaaten für Überraschung, wie viele der ärmeren Länder sich geopolitisch eher auf der Seite Russlands oder Chinas positionieren.
Bestrebungen zum Aufbau alternativer globaler Strukturen ohne Institutionen, die „vom Westen“ dominiert werden, haben klar zugenommen. In diesem Umfeld sind die Erwartungen an den Welthandel verhalten – schon ein 2024 weitgehend stabiles bis leicht steigendes Handelsvolumen wäre wohl Anlass für Zufriedenheit.
In der heimischen Wirtschaftspolitik stehen die Politiker ebenfalls vor großen Herausforderungen. So ist ein Abschied von der „Scheckbuchmentalität“ der vergangenen Jahre, wo jedes Problem mit massiven staatlichen Ausgaben zugeschüttet wurde, angesichts immer weiter wachsender Schuldenberge überfällig.
Teilweise signalisiert der erhebliche Anstieg der Kapitalmarktzinsen in den vergangenen Jahren wohl auch eine zunehmende Unzufriedenheit der Anleger mit der sorglosen Haushaltspolitik vieler Staaten. Nach den aktuellen Planungen dürfte die Fiskalpolitik 2024 tatsächlich global tendenziell restriktiv wirken, nach dem leichten Anschub 2023.
„Die Karten werden neu gewürfelt“
Oliver Kahn
Gleichzeitig zeigen sich, nicht zuletzt in Deutschland, immer mehr die Nachteile der ausufernden staatlichen Eingriffe, insbesondere in Form einer überzogenen Regulierung. Durch das Drehen an vielen Stellschrauben gleichzeitig belasten die Regierungen die Wirtschaftsakteure nicht nur unmittelbar, sondern auch, indem sie zusätzliche Verunsicherung schüren.
Politische Widerstände gegen die Klimawende zu minimieren, fällt deutlich leichter, wenn man die oft absehbaren ökonomischen Nebenwirkungen geplanter Maßnahmen berücksichtigt und Marktkräfte für sich einspannt, statt sie zu bekämpfen. Hier wäre 2024 ein gutes Umschaltspiel vielerorts besonders gefragt.
Das Wachstum der Weltwirtschaft wird 2024 im Jahresschnitt etwa so hoch sein wie im Jahr zuvor. Die US-Wirtschaft legt sogar nur 1,3 % zu, nach 2,3 % im Vorjahr. Dieser Durchschnitt verbirgt aber die anziehende Dynamik in den wichtigsten Märkten einschließlich China im Verlauf des Jahres. Konjunkturell geht es 2024 aufwärts. Die deutsche Volkswirtschaft wächst um 1,3 %.
Die Inflation wird beidseits des Atlantiks weiter nachlassen. Nennenswerte Entlastung von den Energiepreisen – wie 2023 – erwarten wir nicht mehr. Der andauernde Rückgang der Kernraten sollte aber die Gesamtteuerung merklich drücken. Die Inflationsziele der Notenbanken rücken näher, werden aber noch nicht ganz erreicht.
Die Notenbanken stellen 2024 mehrheitlich von Angriff auf Verteidigung um. Die Fed und die EZB unternehmen im Sommer den ersten Schritt in Richtung einer weniger restriktiven Geldpolitik. Bis Jahresende 2024 erwarten wir einen Leitzins, der 50 Basispunkte niedriger ist als aktuell.
Der Druck auf Renten lässt im Jahresverlauf nach. Inflationsrückgang und Leitzinswende geben positive Impulse für die Saison 2024. Der Abbau der Wertpapierbestände bei den Notenbanken bei gleichzeitig relativ hoher staatlicher Emissionstätigkeit begrenzt jedoch das Kurspotenzial.
Für Corporates ist der Höhepunkt der Finanzierungskosten im Jahresverlauf 2024 überschritten. Die Notwendigkeit zu Investitionen in veränderte Lieferketten und nachhaltige Geschäftsprozesse befeuert das Engagement der Unternehmen am Bondmarkt.
Für Banken bedeuten die gestiegenen Zinsen eine Normalisierung ihres Kerngeschäftes. Insbesondere wegen umfangreicher Fälligkeiten rechnen wir mit einem erneut hohen Emissionsvolumen bei erstrangig unbesicherten Bankanleihen.
Covered Bonds profitieren weiter von ihrem Status als „Safe Haven-Assets“. Die Qualität der Deckungswerte, hohe Übersicherungsquoten und die starke Bonität der Kreditinstitute liefern Argumente für die Assetklasse. Dennoch ist mit einem leicht rückläufigen Neugeschäft und etwas geringerem Emissionsvolumen zu rechnen.
„Wenn ich kein Risiko eingehe, riskiere ich alles“
Pep Guardiola
An den Aktienmärkten sind hohe Zinsen, schwaches Wachstum und geopolitische Belastungsfaktoren bereits hinreichend in die Preisbildung eingeflossen. Eine moderate bis günstige Bewertung, schon sehr negative Konjunkturerwartungen und eine verhaltende Positionierung weiter Anlegerkreise legen die Basis für wieder deutlich steigende Kurse. Ende 2024 dürfte der DAX im Bereich von 17.500 Punkten notieren.
Am deutschen Immobilienmarkt dürfte dank weiterhin hoher Nachfrage und stark rückläufiger Bautätigkeit die Trendwende bei Wohnimmobilien vollzogen werden. Die Kaufpreise von Einzelhandelsimmobilien werden sich nach langjähriger Talfahrt stabilisieren, während bei Büros mit weiteren Rückgängen gerechnet werden muss.
Gold kann von nachlassenden Opportunitätskosten profitieren. Spätestens in der zweiten Jahreshälfte, wenn sich eine Entspannung bei der Realverzinsung abzeichnet, wird das Edelmetall wieder die Marke von 2.000 US-Dollar je Feinunze überwinden.
Der US-Dollar tendiert im Umfeld des beginnenden Zinssenkungszyklus meist schwächer. Zudem verringert sich der US-Wachstumsvorteil gegenüber der Eurozone. Da die Fed jedoch zögerlicher vorgeht, hält sich das Verlustpotenzial der hoch bewerteten US-Währung in Grenzen. Der Euro-Dollar-Kurs dürfte Ende 2024 um 1,10 notieren.
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