Der Straffungskurs der EZB ist zwar deutlich stärker ausgefallen als allgemein erwartet, verkürzt aber möglicherweise den Zeitraum bis zur ersten Lockerung. Der Refinanzierungssatz hat mit 4,5 % ein Niveau er-reicht, das die finanziellen Spielräume von Privatpersonen, Unternehmen und Staat spürbar einengt.
Die Risiken für Wirtschaftswachstum, Finanzmarktstabilität und Euro-Anleihe-Spreads sind gestiegen. Bewegt sich die Inflation weiter in Richtung des EZB-Zielwerts von 2 %, mit der Aussicht diesen 2025 anzunähern, dürfte der EZB-Rat nicht zögern einen vorsichtigen Zinssenkungskurs einzuschlagen. Bis Ende 2024 sollte ein Niveau von 4,0 % beim Refinanzierungssatz und 3,5 % beim Einlagensatz erreicht werden.
"Die Geldpolitik ist wie ein Fußballspiel: Die Notenbanker versuchen den Ball im Spiel zu halten, aber manchmal gehen die Schüsse daneben und es gibt unvorhergesehene Fouls"
KI-generierter Fußballspruch zur aktuellen Geldpolitik
Seit 1954, dem Jahr des ersten Weltmeistertitels für Deutschland, gab es hierzulande unter der Regie von Bundesbank und EZB zwölf Leitzinsgipfel bzw. -plateaus. Die durchschnittliche Dauer der geldpolitischen Seitwärtsbewegung betrug rund neun Monate. Die Spannweite war allerdings sehr groß und reichte von zwei bis zu 27 Monaten.
Für 2024 ist mit einem vergleichsweise moderaten Abbau der Bilanzsumme zu rechnen. Das Volumen ist seit einem Jahr durch die abgeschöpften Liquiditätstender um fast 20 % gesunken. Die Geldmengenaggregate schrumpften ebenfalls deutlich und die Zinslasten der Staaten steigen, so dass sich die Tauben im EZB-Rat vermutlich gegen einen beschleunigten Abbau der Anleihebestände, zuletzt rund 20 Mrd. Euro monatlich, sperren werden.
Die US-Notenbank hat ihren Leitzins von quasi null im Frühjahr 2022 auf fast 5,5 % erhöht. Gleichzeitig reduziert sie ihre seit der Pandemie aufgeblähten Anleihebestände jeden Monat um knapp 100 Mrd. Dollar. Der Zinsgipfel dürfte erreicht sein.
Wo der effektive Boden für die Bilanzsumme der Fed ist, wird kontrovers diskutiert, aber 2024 dürfte dieses Niveau noch nicht erreicht werden. Wir gehen daher von einer Fortsetzung der Bilanzreduktion aus. Entsprechend bleibt auch die Geldmenge auf dem Rückzug – was aber nach ihrer explosionsartigen Ausweitung 2020/2021 angemessen ist.
Spannender ist die Frage, wie lange die US-Notenbank das erreichte und ziemlich restriktive Niveau der Federal Funds Rate aufrechterhalten will. Selbst wenn es nicht zu neuen Verwerfungen im Finanzsystem kommt wie im März 2023 bedeuten fallende Inflationserwartungen, dass der Realzins bei unverändertem Nominalsatz steigt.
In unserem Basisszenario wird eine solche „passive“ Straffung der Geldpolitik aus Sicht der Fed im Laufe des Jahres nicht mehr wünschenswert sein. Um ein Überschießen zu vermeiden, also um die Konjunktur nicht zu sehr zu drosseln, dürfte sie daher im Sommer auf einen graduellen Zinssenkungskurs umschwenken. Dies wird aber vom Tempo und Umfang her nicht mit den letzten Zinszyklen vergleichbar sein. Bis Ende 2024 rechnen wir mit einem verhaltenen Rückgang des Zielkorridors um 50 Basispunkte auf 4,75 % bis 5,00 %.
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