Der russische Angriff auf die Ukraine im vergangenen Februar war ein Schock für die europäische Politik und Wirtschaft, dessen Auswirkungen noch jahrelang spürbar sein werden. Dies gilt nicht nur in konjunktureller Hinsicht. Die Energie- und insbesondere die Nahrungsmittelsicherheit haben eine weltweite Bedeutung, die die EU in ihrem Krisenmanagement berücksichtigen muss. Der Fokus allein auf die Mitgliedsländer wäre dabei zu eng.
Annahmen über Lieferbeziehungen, die für die Politik als gesetzt galten, sind hinfällig geworden und stellen die EU vor die Herausforderung, rasch neue, tragfähige Antworten zu finden. Mit Blick auf die Energiesicherheit wurde das Programm RePowerEU im April 2022 angestoßen, das u.a. auf Einsparungen, eine höhere Energieeffizienz und die Umallokation von Bezugsquellen zielt. Ob die neuen Abhängigkeiten, in die sich die EU begibt, tragfähiger sind, ist allerdings fraglich.
Ergänzend geplante Maßnahmen wie Preisobergrenzen, die Abschöpfung von Unternehmensgewinnen sowie die Entkopplung von Strom- und Gaspreis werden die EU-Wirtschaft in den nächsten Jahren prägen. Die notwendige Abwägung zwischen der akuten Entlastung der Verbraucher sowie Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität macht die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen schwierig.
“Wir müssen… eine neue Realität der höheren Staatsverschuldung anerkennen.”
Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin
Hinzu kommt, dass die Energieabhängigkeit der EU-Länder von Russland je nach Energiemix und eigenen Ressourcen unterschiedlich ist. Dies erschwert es den Mitgliedern, an einem Strang zu ziehen. Ganz offensichtlich ist das bei den Sanktionen gegenüber Russland, wo die Meinungen z.T. stark auseinandergehen.
Die Vielzahl der Herausforderungen verdeutlicht aber, dass die EU international als Einheit sprachfähig bleiben muss. Auf ausgetretenen Pfaden weiterzugehen, dürfte in die Sackgasse führen. Dies zeigt auch das breite Spektrum des Handlungsbedarfs, den die Kommissionspräsidentin in ihrer Rede zur Lage der EU im Herbst 2022 nannte. Die politische Dimension hat nicht nur in ihren Ausführungen deutlich an Gewicht gewonnen. Dem gerecht zu werden, dürfte ohne institutionelle Reformen kaum möglich sein.
Diese akuten Fragen lassen Themen wie die Taxonomien für nachhaltiges Wirtschaften teils in den Hinter-grund rücken. Präsent ist die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit – untrennbar verknüpft mit der Energiesicherheit, in der Abwägung zwischen der wirtschaftlichen und der ökologischen Perspektive aber konfliktbeladen.
Wichtig bleibt außerdem ein anderer Nachhaltigkeitsaspekt – die finanzielle Tragfähigkeit. Aktuell sind die Staaten enorm belastet. Reformen für Haushaltsregeln mit mehrjährigen statt jahresgenauen Kennziffern, wie von der EU-Kommission im November umrissen, werden mehr Flexibilität beim Schuldenabbau verschaffen. Ob dies bei steigenden Zinsen zielführend ist, wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen. Die Maastricht-Grenzen sind noch bis Ende 2023 ausgesetzt. Dass danach harte Sparmaßnahmen kommen, ist unwahrscheinlich. Der Ruf nach neuen gemeinsamen Schulden dürfte lauter werden.
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