Diese Krise ist anders. Erstmals steht Deutschland nicht nur vor einer voraussichtlich milden Rezession. Die auch danach weiterhin hohen Preise für Gas und Elektrizität gefährden die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes. Lösen lässt sich dieses Problem nur mittelfristig mit einer massiven Ausweitung des Energieangebots sowohl bei Gas als auch bei Strom. Neue Erzeugungskapazitäten sind zudem wegen der klima-schutzbedingten Elektrifizierung der Industrie, des Fahrzeugbestandes sowie der Heizungssysteme notwendig.
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hat sich das ifo Geschäftsklima deutlich verschlechtert. Die Preisexplosion bei Gas, Strom und vielen Rohstoffen katapultiert die Kosten der Unternehmen in die Höhe. Da diese nur teilweise überwälzt werden können, wird die Produktion nicht selten unrentabel.
Gleichzeitig halten sich Konsumenten und industrielle Abnehmer zurück. Diese Probleme sind nicht nur auf Deutschland konzentriert. Die hohe Inflation, die teilweise auf eine zu späte Reaktion wichtiger Notenbanken zurückgeht, ist ein globales Phänomen. Deutschland als wichtiger Profiteur des internationalen Handels spürt dies an der schwachen Exportentwicklung, auch weil die Krise zunehmend mit globalisierungsfeindlichen Maßnahmen bekämpft wird.
Die Bundesregierung dämpft den Abschwung mit Hilfsprogrammen. Die drei beschlossenen Pakete haben einen Umfang von rund 135 Mrd. Euro oder etwa
3 ½ % der Wirtschaftsleistung. Die Maßnahmen umfassen u.a. Einmalzahlungen für Rentner und Studenten, die Ausweitung des Wohngeldanspruchs sowie den Abbau der kalten Progression.
Hilfsprogramme helfen nur kurzfristig. Soll die Industrie am Standort gehalten werden, muss auch eine adäquate
Energiepolitik betrieben werden.
Hinzu kommt der 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm, mit dem zum einen Unternehmen aus der Energiewirtschaft gerettet und zum anderen die Gaspreise gedämpft werden sollen. Dies reduziert die Unsicherheit und trägt zu einer konjunkturellen Besserung im Verlauf von 2023 bei.
Ab Frühjahr dürfte die deutsche Wirtschaft wieder wachsen. Trotzdem muss 2023 insgesamt mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 0,6 % gerechnet werden.
Die Gaspreisbremse und das geplante Äquivalent für Strom werden Anfang 2023 positiv auf die Inflationsraten wirken. Damit ist allerdings das Inflationsproblem bei Weitem noch nicht aus der Welt geschafft. Die hohen Energiepreise haben sich längst breit in die Produktgruppen „hineingefressen“. Der deutlich höhere Mindestlohn seit Oktober 2022 und die gestiegenen Tarifabschlüsse bzw. -forderungen verstärken den Preisdruck.
Auf mittlere Sicht werden der zunehmende Arbeitskräftemangel sowie die klimapolitischen Maßnahmen zu weiteren Preisanhebungen führen. Nach einer Inflationsrate von rund 8 % im Jahr 2022 ist für 2023 nochmals ein deutlicher Schub von 6 % zu erwarten.
Die privaten Konsumausgaben sind 2022 um schätzungsweise 4 % gestiegen. Grund war der Corona-bedingte Nachholbedarf bei vielen Dienstleistungen. Bereits im zweiten Halbjahr hat aber eine Trendwende eingesetzt. So sinken die realen Einzelhandelsumsätze, die Rahmenbedingungen haben sich verschlechtert.
Die hohe Inflation kann nicht durch Einkommenssteigerungen kompensiert werden und die Sparquote ist wieder auf Werte vor 2020 gesunken. Auch wenn diese noch weiter zurückgehen dürfte, werden die Impulse kleiner ausfallen. Die Beschäftigung ist zuletzt kaum mehr gestiegen. Der jüngste Anstieg der Arbeitslosigkeit ist allerdings vor allem dadurch bedingt, dass die geflüchteten Ukrainer seit Juni in der Arbeitslosenstatistik erfasst werden.
Die Tarifverdienste dürften auch 2023 mit einem Anstieg von knapp 5 % nicht die Inflation kompensieren. Nach dem Pandemie-bedingt starken Schub der monetären Transfers werden deren Zuwächse zudem niedriger ausfallen.
Die Einkommen der Selbstständigen dürften sogar sinken, so dass die gesamten verfügbaren Einkommen 2023 in nominaler Rechnung um schätzungsweise 3,5 % zulegen werden. Dies bedeutet eine deutliche reale Schrumpfung. Die privaten Konsumausgaben dürften allerdings nur um 0,5 % sinken, da zuvor hohe Ersparnisse aufgelöst werden.
Die Ausrüstungsinvestitionen sind 2022 um schätzungsweise 1 % gestiegen. Sie sind damit aber immer noch um rund 8 % unter dem Niveau vor der Corona-Krise. Die wirtschaftliche Unsicherheit sowie sinkende Unternehmensgewinne bei gleichzeitig steigenden Kapitalmarktzinsen führen erstmal zur Zurückhaltung bei der Kapitalbildung.
Immerhin wird die Gaspreisbremse für Mittelstand und Industrie für mehr Sicherheit bei den Energiekosten sorgen und die Unternehmen müssen verstärkt in Energieeffizienz und Digitalisierung investieren. Die Investitionen in Maschinen und Ausrüstungen dürften sich damit im Verlauf von 2023 erholen, im Jahres-durchschnitt allerdings leicht sinken.
Das Gleiche gilt für die Bauinvestitionen: Kapazitätsgrenzen sowie der Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten dürften zwar allmählich in den Hintergrund treten. Gestiegene Baukosten und Zinsen belasten allerdings zunehmend die Kalkulation. Die realen Auftragseingänge in der Bauwirtschaft sinken und es kommt zu Stornierungen. Das Geschäftsklima hat sich deutlich eingetrübt.
Der Einfamilienhausbau wird zusätzlich durch die schwierige Einkommenssituation der privaten Haushalte ausgebremst. Unter diesen Voraussetzungen ist das politische Ziel, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen, nicht zu erreichen. 2023 dürften schätzungsweise 270.000 Wohnungen errichtet werden. Immerhin führen die hohen Energiepreise zu Impulsen bei der energetischen Sanierung inklusive des Heizungsbaus.
Die gewerblichen Bauinvestitionen haben sich schon 2022 ungünstiger entwickelt als die anderen beiden Sparten. Durch die konjunkturellen Schwierigkeiten der Industrie dürfte sich hieran 2023 nichts ändern. Positiv wirken immerhin die lebhaften Investitionen der Deutschen Bahn. Die Budgetplanungen der öffentlichen Haushalte lassen für 2023 weiterhin hohe Ausgaben erwarten. Aufgrund starker Preissteigerungen dürfte aber auch hier real bestenfalls eine Stagnation zu erwarten sein.
Der negative Wachstumsbeitrag des deutschen Außenhandels dürfte im Verlauf von 2023 kleiner werden, da sich die Exporte dann wieder erholen. Impulse dürften vor allem von den USA und der Eurozone ausgehen. China sollte trotz der Diskussionen über die Handelsbeziehungen für deutsche Unternehmen weitere Chancen bieten.
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