Dr. Gertrud R. Traud ist seit 2005 Chefvolkswirtin der Helaba – und damit deutschlandweit eine der wenigen Frauen in dieser Position. Gemeinsam mit ihrem Team veröffentlicht sie neben zahlreichen Publikationen jeden Herbst den „Jahresausblick für Konjunktur und Kapitalmärkte“. Darin entwickelt sie verschiedene weltwirtschaftliche Szenarien für das kommende Jahr und formuliert Prognosen, die sich bisher als treffsicher erwiesen haben.
Dr. Gertrud R. Traud: Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren in den Mittelpunkt der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion gerückt. Dabei wurde bislang auf die so genannten ESG-Kriterien abgestellt. Dies ist aber verkürzt. So umfassen die UN-Nachhaltigkeitsziele 17 Kriterien: vom Ende der Armut und des Hungers über Gesundheit und Bildung bis zu nachhaltigen Städten und Gemeinden. Jüngst hat die EU die Kreislaufwirtschaft als zukünftiges Wirtschafts- und Sozialmodell benannt. Für mich als Volkswirtin ist solch ein Ansatz jedoch keine Neuerung, sondern eine Selbstverständlichkeit – geht es doch um den effizienten Einsatz von knappen Ressourcen. Dies impliziert neben der sparsamen Verwendung von Ressourcen auch das Zurückführen von Rohstoffen in den Kreislauf, um Abfälle so weit wie möglich zu vermeiden und die Rohstoffe erneut einsetzen zu können.
Geschäftsmodelle, die die Effizienz steigern, Ressourcen einsparen, Wiederverwertung ermöglichen sowie Abfälle minimieren und dabei die Umwelt schonen, haben in solch einem Umfeld die besten Entwicklungschancen. Dies gilt auch für Unternehmen, deren Inputfaktoren größtenteils „Köpfe“ sind. Denn diese Ressource wird in vielen Ländern aufgrund der demografischen Entwicklung immer knapper.
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirtin / Head of Research & Advisory der Helaba
Dr. Gertrud R. Traud: Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft sollte auch jenseits der Produktion von Gütern implementiert werden. Die Folgewirkungen von Entscheidungen von Anfang an mitzudenken, sollte nicht nur für Unternehmen gelten, sondern auch für die Politik. Dabei helfen wiederum volkswirtschaftliche Ansätze. So führen eine expansive Geld- und Fiskalpolitik früher oder später zu einer ausufernden Verschuldung und inflationären Prozessen. Dies konnte in den letzten Jahren anschaulich beobachtet werden. Wer nicht lernt, in Geldkreisläufen zu denken, könnte dazu neigen, mehr auszugeben, als er einnimmt. Insbesondere wenn diese Schulden dann nicht investiv, sondern konsumtiv eingesetzt werden, führt dies auch beim Individuum zur Überschuldung. So ist Finanzbildung ebenfalls ein wichtiger Aspekt von Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft.
Dr. Gertrud R. Traud: Der schonende Umgang mit Ressourcen sollte für jeden eine Selbstverständlichkeit sein. Das allein reicht aber nicht, denn solange die Weltbevölkerung weiterwächst, müssen Konzepte entwickelt werden, die neben dem effizienten Einsatz der Ressourcen auch die globale Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen berücksichtigen. Wer das nicht tut, riskiert ausufernde Verteilungskonflikte.
Dr. Gertrud R. Traud: Ganz im Gegenteil. Ohne die Effizienzsteigerung einer arbeitsteiligen Wirtschaft bei ungleich verteilten Ressourcen in der Welt kann weder Wohlstand erhalten noch geschaffen werden. Das neue Denken muss international ausgerichtet bleiben: Kreislaufwirtschaft bedeutet Zusammenarbeit und nicht Abschottung.
Unsere Research und Advisory-Expertinnen und Experten analysieren und prognostizieren präzise und transparent. Hier finden Sie aktuelle Research Informationen.