Dr. Gertrud R. Traud ist seit 2005 Chefvolkswirtin der Helaba – und damit deutschlandweit
eine der wenigen Frauen in dieser Position. Gemeinsam mit ihrem Team veröffentlicht sie neben zahlreichen Publikationen jeden Herbst den „Jahresausblick für Konjunktur und
Kapitalmärkte“. Darin entwickelt sie verschiedene weltwirtschaftliche Szenarien für das kommende Jahr und formuliert Prognosen, die sich bisher als äußerst treffsicher erwiesen haben. Ihre Vorhersage der Dax-Entwicklung für 2023 etwa war eine der präzisesten, die führende deutsche Kreditinstitute im Rahmen einer Befragung durch die Frankfurter
Allgemeine Zeitung veröffentlicht hatten.
Dr. Gertrud R. Traud:
Die deutsche Wirtschaft war auch 2023 vom russischen Angriffskrieg und den damit einhergehenden hohen Energiekosten geprägt. Als Folge dieser Entwicklungen stagnierte das Bruttoinlandsprodukt preis- und kalenderbereinigt. Im internationalen Vergleich schnitt Deutschland damit schwach ab. Vor allem der private Konsum bremste; die deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher litten unter der hohen Inflation, die im Jahresdurchschnitt 5,9% betrug. Positiv wirkte der Anstieg der Ausrüstungen, während die Bauinvestitionen erneut im Minus waren. Sie wurden durch die gestiegenen Kapitalmarktzinsen, hohe Baukosten und geringere Förderung belastet.
Mit der Antizipation einer expansiveren Geldpolitik gingen die Kapitalmarktzinsen gegen Ende des Jahres zurück. Die Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Wirtschaft konnten hingegen kaum nachhaltig verbessert werden. Die Stromkosten sanken zwar, insbesondere für energieintensive Unternehmen sind die Standortnachteile bei Strom und Gas aber noch gravierend. Zudem sind die Unternehmenssteuern im Vergleich zu wichtigen Konkurrenten hoch. Auch beim Bürokratieabbau gab es keine nennenswerten Fortschritte. Um die Kosten für den Klimaschutz im Griff zu behalten, ist es wichtig, auf marktwirtschaftliche Methoden zu setzen. CO2-Steuern sind hier langfristig effizienter als diskretionäre Maßnahmen. Eine Umsteuerung ist bislang nicht festzustellen.
Dr. Gertrud R. Traud:
Ich sehe den positiven Trend weiter intakt, insbesondere in Europa. Sustainable Finance ist ein noch junges Phänomen, die Rahmenbedingungen und Spielregeln entwickeln sich zügig weiter. Das nahezu exponentielle Wachstum bis ins Jahr 2021 hinein wurde auch von neuen Produktvarianten getragen. Ein Beispiel sind Social Bonds, mit denen Projekte mit einem sozialen Nutzen finanziert werden. Außerdem wurde mit Sustainability-Linked-Finanzierungen ein sehr flexibles Instrument geschaffen, das es erlaubt, dem Kreditnehmer einen finanziellen Anreiz für die Verbesserung konkreter Nachhaltigkeitskennzahlen zu setzen. Diese innovative Dynamik lässt nun nach.
Zudem war sicher nicht alles, was anfangs gut gemeint war, auch gut gemacht. So beobachten wir aktuell, dass sich der Fokus von Quantität zu Qualität verschiebt. Der Markt hat einen gewissen Reifegrad erreicht, aber das ist nicht das Ende der Fahnenstange. Vielmehr erwarte ich nach dieser Phase der Konsolidierung wieder steigende Volumina. Hierbei dürften auch Politik und Regulierung helfen, sofern sie es nicht übertreiben. Ein gutes Beispiel ist die EU-Taxonomie: Sie mag in der Umsetzung sperrig und aufwendig sein, aber sie gibt eine klare Antwort auf die Frage, welche Investitionen „grün“ sind. Auch die Ausweitung der verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung spielt eine wichtige Rolle. Ihre Umsetzung bedeutet für viele Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Zusatzbelastung. Gleichzeitig schafft sie bei mittelständisch geprägten und nicht börsennotierten Gesellschaften die derzeit noch fehlende Datenbasis für eine Verknüpfung von Finanzierung und Nachhaltigkeitsstrategie.
Dr. Gertrud R. Traud
Managing Director / Chefvolkswirtin der Helaba
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