Zwischen geopolitischen Unsicherheiten und Nachhaltigkeitstransformation: Wie blicken Sie auf das Berichtsjahr 2022 zurück und auf 2023 voraus?
Petra Sandner: Anfang 2022 ließ die Pandemiedynamik endlich nach und vorsichtigen Optimismus zu, den der fürchterliche Angriff Russlands auf die Ukraine jedoch jäh zunichtemachte. Zum Glück trafen die wirtschaftlichen Konsequenzen nicht im befürchteten Ausmaß ein, denn der Standort Deutschland war und ist gut aufgestellt. Die Unternehmen dieses Landes, viele davon unsere Kunden, sind widerstands- und anpassungsfähig, gerade in schwierigen Zeiten eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft. Auch wir selbst sahen, dass unser diversifiziertes Geschäftsmodell erneut seine Resilienz bewies. Unsere strategische Agenda wirkt und lässt uns durchaus zuversichtlich auf 2023 blicken.
Nun dauern diese Umbruchzeiten absehbar an. Die Helaba will und wird ihre Kunden weiterhin aktiv begleiten, gerade auch bei der Transformation hin zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen. Die Nachfrage nach unseren Informations- und Beratungsleistungen zu Finanzierungen mit Nachhaltigkeitskomponenten wächst kontinuierlich. Daher bauen wir unser ESG-Produktportfolio und das Sustainable Finance Advisory gezielt aus – im engen Dialog mit unseren Kunden. Denn nur im Austausch über ESG-Ratings, -Ziele und -KPIs können wir unternehmensindividuelle Transformationspfade definieren, die die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft erhalten.
Petra Sandner ist seit Februar 2021 Chief Sustainability Officer der Helaba-Gruppe. Zuvor arbeitete sie ab 2008 im Bereich Transportfinanzierung der Helaba.
Von Windturbinen für die Energieerzeugung bis zur Technik für den Netzausbau: Siemens Energy baut sozusagen den Maschinenraum der Energiewende. Frau Brehm, wann wird unser Stromnetz „grün“ sein?
Carina Brehm: Zwei Faktoren sind dabei wichtig: der beschleunigte Ausbau von erneuerbaren Energien, um die CO2-Intensität des Netzes zu reduzieren, und der Einsatz von energieeffizienten Technologien, um Verluste gering zu halten. In beiden Fällen setzt Siemens Energy das „grüne Stromnetz“ um: zum einen mit Technologien, die erneuerbare Energien erzeugen, wie Windkraftanlagen auf hoher See. Zum anderen baut unsere Stromübertragungssparte weltweit Netze für den Transport von Strom über längere Strecken. Das ist relevant für die Energiewende, da die Orte der Erzeugung und des Verbrauchs geografisch häufig weit auseinanderliegen. Gemeinsam mit den Kunden setzt Siemens Energy zum Beispiel in Deutschland Nord-Süd-Verbindungen wie Ultranet um. Diese Gleichstromverbindung zwischen Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg kann sowohl Strom von Nord nach Süd als auch von Süden nach Westen transportieren.
Während Sie Ihre Kunden mit der nötigen Technik versorgen, um ihre Prozesse zu dekarbonisieren – wie stellen Sie Ihre eigene Produktion zukunftsfähig auf?
Carina Brehm: Wir konnten die Emissionen in unserem direkten Verantwortungsbereich (Scope 1 und 2) seit 2019 bereits um 50 Prozent reduzieren. Ursprünglich war das Ziel, den Ausstoß bis 2025 um 46 Prozent zu senken. Bis 2030 wollen wir vollständig klimaneutral sein. Wir bewerten fortlaufend, wie wir alle weiteren Emissionen minimieren können, etwa indem wir Prozesse und Fahrzeuge elektrifizieren oder den Energiebedarf senken. Wir arbeiten auch an präventiven Maßnahmen, um etwa F-Gas-Freisetzung zu vermeiden – das sind hoch klimaschädliche Gase, die teilweise zur Isolierung von Schaltern im Stromnetz verwendet und in unseren Fabriken für Produkttests genutzt werden. Ohnehin gilt: Die Dekarbonisierung unserer eigenen Prozesse ist eine Gemeinschaftsleistung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Siemens Energy. Die besten Ideen zur Dekarbonisierung kommen aus unseren Teams in den Werken, Baustellen und Büros.
Carina Brehm,
VP Strategy Grid Technologies bei Siemens Energy
Von der Technologie zum Kapital: Frau Sandner, wie wirken nachhaltige Finanzierungslösungen konkret?
Petra Sandner: Es ist völlig klar, dass die Transformation in der Realwirtschaft passieren muss. Wir als Finanzdienstleisterin können aber einen entscheidenden Beitrag hierzu leisten, und zwar indem wir für Transparenz auf dem Kapitalmarkt sorgen. Nachhaltige Finanzierungslösungen haben genau dieses Ziel: Mit einer ESG-linked Finanzierung dokumentieren wir das ernsthafte Bestreben der Emittenten, sich an etablierten ESG-KPIs messen zu lassen. Damit haben Investoren und weitere Stakeholder die nötigen Informationen zur Verfügung, um mit ihren Entscheidungen Kapitalflüsse in Richtung Transformation und Nachhaltigkeit zu lenken.
Petra Sandner,
CSO der Helaba
Wenn Sie auf die „Nachhaltigkeitsreise“ Ihrer Unternehmen schauen, was haben Sie bisher gelernt?
Carina Brehm: Für uns steht fest, dass hohe Transparenz bei den Emissionen und Aufmerksamkeit für einen geringeren Carbon-Footprint wesentlich sind, um unsere Nachhaltigkeitsstrategie erfolgreich umzusetzen. Das ist keine einfache Aufgabe, daher bauen wir auf Partnerschaft mit unseren Kunden und Lieferanten, um zum Beispiel gemeinsam nachhaltige Materialien in unseren Produkten einzusetzen. Außerdem setzen wir auf Good Practice Sharing innerhalb und außerhalb unseres Unternehmens. Dadurch können wir zum Beispiel Effizienzsteigerungen in energieintensiveren Fertigungsprozessen schnell und konsequent in einem globalen Fabriknetzwerk umsetzen.
Petra Sandner: Wir beschäftigen uns intensiv mit unserer gesamten Wertschöpfungskette, weil Nachhaltigkeit bei uns auf allen Ebenen Fuß fassen soll. Zuerst haben wir den passenden Rahmen entwickelt; das Sustainable Lending Framework für nachhaltiges Kreditgeschäft ist hierbei unser zentrales Regelwerk. Jetzt gilt es, diesen Rahmen mit Leben zu füllen und dafür zu sorgen, dass sich alle gut darin bewegen können: Durch vielseitige Dialogformate und gezielte Schulungen wollen wir jede und jeden mit- nehmen. Denn klar ist, dass sich das Skillset unserer Fachkräfte erweitern muss, und dazu müssen und wollen wir Erfahrungen austauschen und voneinander lernen. Genau so sollen unsere Mitarbeitenden auch außerhalb des Büroalltags wertvolle Eindrücke sammeln: Mit unserem Social-Volunteering-Programm geben wir ihnen die Möglichkeit, sich während der Arbeitszeit ehrenamtlich zu engagieren, also ihre Kompetenzen und Erfahrungen in soziale Projekte hinein und umgekehrt Impulse aus der Gesellschaft zurück in die Bank zu tragen.
Carina Brehm verantwortet die Geschäftsstrategie im Bereich Grid Technologies von Siemens Energy: ein Geschäftsfeld, das mit Systemlösungen, Produkten und Dienstleistungen weltweit Energienetze ausbaut und rund 18.000 Beschäftigte zählt. 2022 wurde sie vom Capital Magazine als eine der 40 Top-Managerinnen unter 40 Jahren ausgezeichnet.
Die Herstellung Ihrer Keramikwaren, die wir in vielen Lebensbereichen nutzen, ist energieintensiv. Für den Wandel hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft, was sind die zentralen Maßnahmen von Villeroy & Boch?
Susanne Reiter: Die Dekarbonisierung steht im Mittelpunkt unserer Nachhaltigkeitsstrategie: An allen keramischen Standorten wollen wir bis 2040 klimaneutral werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist vor allem ein technologischer Wandel in der Brenntechnik nötig. Wir warten aber nicht auf die Ofenbauer oder auf Ergebnisse aus der Forschung, sondern testen bereits selbst einen Elektro- und einen Wasserstoffofen und planen erste Probebrände für 2023. Das alles braucht jedoch seine Zeit. Ein Grund mehr, die Energieeffizienz bestehender Öfen zu verbessern; hier sehen wir Einsparpotenziale von 20 Prozent des Erdgasverbrauchs. Außerdem setzen wir uns intensiv mit dem gesamten Herstellungsprozess auseinander, um ihn energieeffizienter zu gestalten. Ergänzend arbeiten wir an einem umfassenden Konzept zum Ausbau von Photovoltaikanlagen auf unseren Dachflächen und zur klimaneutralen Energieversorgung.
Susanne Reiter,
Leiterin Konzern-Treasury und Investor Relations,
Villeroy & Boch-Gruppe
Auch ein effizienterer Umgang mit den endlichen Ressourcen unseres Planeten muss Ziel der Nachhaltigkeitstransformation sein. Wie trägt Ihr Unternehmen dazu bei, dass sich eine Kreislaufwirtschaft etabliert?
Susanne Reiter: Müllvermeidung ist in diesem Zusammenhang unser Kernthema. In unseren keramischen Produktionsprozessen wird Rohbruch zu mehr als 99 Prozent in die Masse zurückgeführt, bei bereits gebranntem Bruch sind es rund 10 Prozent. Messingabfall wird in unserem schwedischen Armaturenwerk zu 99 Prozent recycelt. Und mit Holzresten aus unserer Möbelproduktion in Österreich können wir in der Heizperiode den überwiegenden Wärmebedarf des Standorts decken. Ein vergleichbares Konzept wenden wir auch in unserer deutschen Badmöbelfabrik an.
Was erwarten Sie als energieintensives, mittelständisch geprägtes Unternehmen von der Helaba? Welchen Mehrwert kann die Helaba als Finanzdienstleisterin ihren Kunden bei der Dekarbonisierung bieten?
Susanne Reiter: Die Dekarbonisierung selbst ist stark technisch getrieben. Dabei kann die Helaba aus meiner Sicht unterstützen, indem sie die Nachhaltigkeitsaktivitäten auf die Finanzierungsseite transferiert. Ein Beispiel: Wir erweitern zurzeit unseren bestehenden Kreditvertrag um ESG-KPIs – das ist die erste grüne Finanzierung für Villeroy & Boch – und lernen dabei viel von den Erfahrungen der Helaba. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass sich die Finanzbranche beim Thema Nachhaltigkeit auch in Zukunft nicht von der Realität der Wirtschaft entkoppelt. Daher brauchen wir einen regelmäßigen Dialog zu den regulatorischen Anforderungen, die sowohl die Banken als auch uns betreffen, und zu den Anstrengungen, die wir in der Industrie bereits unternehmen.
Petra Sandner: Absolut, denn als öffentlich-rechtliches Institut sind wir der Realwirtschaft verpflichtet und nehmen unsere Rolle für den deutschen Mittelstand sehr ernst. Wir können uns nicht ganz frei von der Regulatorik machen, aber wir sehen den entscheidenden Mehrwert für ESG klar im Dialog mit unseren Kunden. Wir müssen das Geschäftsmodell unserer Kunden verstehen, und dafür wird Nachhaltigkeit essenziell. Bei der notwendigen Transformation steht die Helaba fest an der Seite ihrer Kunden, weil es nur gemeinsam geht.
Wie gehen Ihre Unternehmen intern die Nachhaltigkeitstransformation an?
Susanne Reiter: Die Nachhaltigkeitstransformation ist ein breites Themenfeld, das wir ganzheitlich betrachten und bearbeiten müssen. Bei Villeroy & Boch haben wir im ersten Schritt drei Handlungsfelder mit höchster Priorität identifiziert: die Dekarbonisierung, die Entwicklung nachhaltiger Produkte und die verantwortungsvolle Unternehmensführung mit und gegenüber den Mitarbeitenden. Die größte Herausforderung für uns ist es zurzeit, die regulatorischen Anforderungen der CSRD und die Ergebnisse unserer Wesentlichkeitsanalyse übereinzubringen.
Petra Sandner: Regulatorische Anforderungen sind Fluch und Segen zugleich. Ihre Umsetzung im gesamten Kerngeschäft ist komplex und anspruchsvoll – dafür schaffen sie für alle dieselben Standards und einen verbindlichen Rahmen, also Transparenz und Vergleichbarkeit. Hinzu kommt, dass auch wir uns intern umstellen und Zusatzaufwand bewältigen müssen: Prozesse anpassen, neue Aufgaben übernehmen, ESG-Daten von Kunden abfragen und in unsere Entscheidungsprozesse integrieren ... Aber in dem intensiven internen Austausch steckt eine immense Chance: Wir lernen uns ein Stück weit selbst besser kennen, denn alle Funktionen müssen zusammenarbeiten. Die Umsetzung regulatorischer Anforderungen bringt Bereiche an einen Tisch, die bisher keine Berührungspunkte hatten. Daraus entstehen kreative Lösungen für uns – und für unsere Kunden.
Wenn Sie an die Zukunft der Keramikbranche denken: Was ist nötig für eine erfolgreiche Transformation?
Susanne Reiter: Die Transformation der Brenntechnik hin zu nachhaltigen Technologien ist das Kernthema. Sie wird aber nur gelingen, wenn ausreichend grüner Strom und grüner Wasserstoff verfügbar sind. Die dafür notwendige Infrastruktur, insbesondere für Wasserstoff, entsteht gerade erst. Zudem müssen grüne im Vergleich zu fossilen Brennstoffen zu wettbewerbsfähigen Preisen angeboten werden.
Susanne Reiter ist seit 2020 für den Bereich Investor Relations bei der Villeroy & Boch AG verantwortlich und somit Ansprechpartnerin für Investoren und Analysten. Bereits seit 2013 verantwortet sie zudem das Corporate Treasury des Unternehmens. In beiden Zusammenhängen gewinnt Nachhaltigkeit immer mehr an Gewicht.