Selten war es wohl einfacher, ein negatives Szenario für Konjunktur und Finanzmärkte zu begründen als heute. Ohne Impfstoff ist eine Rückkehr zur Normalität auf absehbare Zeit kaum denkbar. Länger andauernde Restriktionen für wirtschaftliche und soziale Aktivitäten sowie die Verunsicherung der Konsumenten machen diese Rezession zu einem „double dip“: ein rares Ereignis, in dem es nach einer Zwischenerholung noch einmal bergab geht.
Vollständige und wiederholte Lockdowns bringen das Wachstum zum Erliegen. In diesem schwierigen Umfeld wird die deutsche Wirtschaft 2021 noch einmal schrumpfen, ein Desaster nach dem Einbruch 2020. Die Weltwirtschaft steckt ebenfalls ein weiteres Jahr in der Rezession. Das Ausbleiben eines Aufschwungs verstärkt die bislang gedämpften Zweitrundeneffekte der Krise: Firmenpleiten, Stellenabbau, Überschuldung, Haushalte in Existenznöten. Ganze Branchen könnten „verwaisen“.
Eine längere Schwächephase wird zudem die unschönen politischen Strömungen der vergangenen Jahre verstärken. Spätestens seit 2016 kennen wir mit dem Brexit und der Wahl Donald Trumps politische Störungen einer Größenordnung, wie man sie sich vorher kaum hat vorstellen können. Eine nachhaltige und ausgeprägte Tendenz zur Abschottung, sei es nun aus Gründen des Nationalismus („Buy American!“) oder zur Förderung der regionalen Wirtschaft („Kauft regional!“), wäre Gift für die globale Konjunktur. Es drohen Protektionismus und Abwertungsspiralen wie in den 1930er Jahren, wenn Regierungen einen größeren Teil der Nachfrage für die heimische Produktion „sichern“ wollen. Verglichen mit damals sind die Volkswirtschaften heute aber viel enger miteinander verflochten, die Kosten einer Deglobalisierung wären immens.
„They’re here.“
Aus dem Film „Poltergeist“
(Platz 69 der „100 besten Filmzitate“,
American Film Institute)
Gleichzeitig wirken im Hintergrund andere Trends, die auf jeden Fall mit Belastungen und Kosten verbunden sind und wo Politikfehler sehr teuer werden können, vor allem in einer Phase konjunktureller Schwäche: Klimaauflagen, der Wettstreit um die technologische Führungsrolle, die Dauerdebatte um höhere Besteuerung von (digitalen) Unternehmen oder die Überfrachtung der Unternehmen mit Bürokratie. Ein Beispiel ist das Lieferkettengesetz, das wie auf Autopilot trotz Wirtschaftskrise einfach weiter vorangetrieben wird.
Nicht zuletzt auf Ebene der EU sind hier Gefahren erkennbar. Regionalparlamente sind in der Lage, internationale Handelsabkommen für rund 450 Mio. EU-Bürger zu blockieren. Mit Großbritannien verabschiedet sich ein wichtiger Verfechter des freien Wettbewerbs und einer relativ liberalen Wirtschaftspolitik aus der Union. In Brüssel diskutiert man zunehmend über eine Industriepolitik der „nationalen Champions“ und in einem Umfeld steigender Arbeitslosigkeit wird „Wettbewerb“ schnell zu einem Unwort. Gleichzeitig können lautstarke Forderungen nach einer weitgehenden Vergemeinschaftung der Staatsschulden oder Maßnahmen gegen sogenanntes „Steuer- Dumping“ die Union spalten.
In dem Filmklassiker von 1982 ist ein überbauter Friedhof die Quelle der Poltergeister, die Sünden der Vergangenheit holen die Protagonisten also ein. Ein bisher nonchalanter Umgang mit protektionistischen Tendenzen (Chlorhühner!) erschwert es, ihnen nun konsequent zu begegnen. Daneben rächen sich die in den meisten Ländern schon 2008 hohen und seit der Finanzkrise meist noch weiter aufgehäuften Schulden im öffentlichen wie im privaten Sektor. Die private Schuldenlast führt zu Investitionszurückhaltung, die Staatsschulden schränken den Handlungsspielraum und die Effektivität der Fiskalpolitik merklich ein.
„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird.“
Friedrich Nietzsche (1844 – 1900)
In diesem Szenario sind die Notenbanken unter zusätzlichem Druck, die Zinsen niedrig zu halten bzw. noch weiter zu senken, um das letzte Quäntchen Stimulus zu mobilisieren und um die kräftig steigenden Schuldenquoten zu stabilisieren. Neue Strategien wie extreme Versionen der „forward guidance“, Zinskurvenkontrolle oder sogar Helikopter-Geld sind denkbar.
Der konjunkturelle Aufholprozess, der im dritten Quartal 2020 begonnen hatte, wird unterbrochen. Im Jahresverlauf 2021 wird die wirtschaftliche Erholung zwar mit Verzögerung wieder aufgenommen, im Jahresdurchschnitt geht das Bruttoinlandsprodukt jedoch in Deutschland und in der Eurozone noch mal zurück. Die US-Wirtschaft dürfte weitgehend stagnieren. Der konjunkturelle Rückschlag dämpft den Preisauftrieb, die Inflationsraten bleiben aber im positiven Bereich.
Renten haben Rückenwind. Die EZB senkt den Einlagensatz und weitet die Kaufprogramme nochmals massiv aus. Aufgrund der dauerhaft hohen Unsicherheit werden sichere Anlagehäfen wie US-Staatsanleihen und Bundesanleihen gesucht. Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen notiert am Jahresende tief im negativen Bereich bei – 0,8 %. Die Zinskurve wird zeitweilig invers.
Die wirtschaftliche Schwäche setzt die Finanzprofile der Corporates weiterhin unter Druck. Ein erneuter Anstieg der Risikoprämien ist wahrscheinlich. Dies spiegelt sich bei den Banken in weiter zunehmenden Wertberichtigungen bei Krediten und Finanzaktiva wider. Covered Bonds bleiben überwiegend robust und stark nachgefragt, doch die steigenden fundamentalen Risiken führen zu mehr Differenzierung bei den niedrigen Risikoprämien.
Die Perspektiven für die Unternehmensgewinne erholen sich 2021 per saldo nicht von ihrem Einbruch. Trotz des massiven Einsatzes der Geldpolitik und mangelnder Anlagealternativen steigt die Risikoaversion der Anleger deutlich. Dies führt zu markanten Bewertungsabschlägen in Aktien. Der DAX fällt in den Bereich um 10.000 Punkte.
Bei Immobilien sinken Mieten und Kaufpreise im gewerblichen Bereich auf breiter Front. Nicht nur bei Einzelhandelsobjekten, sondern auch bei Bürogebäuden kommt es zu deutlichen Abwertungen. Der Wohnungsmarkt bleibt vergleichsweise stabil, weitere Preissteigerungen sind hier im schwachen Umfeld jedoch nicht zu erwarten.
Gold erreicht als Krisenwährung neue Rekordmarken. Da Geld- und Fiskalpolitik in weitere Extrembereiche vordringen werden, nimmt das Edelmetall in US- Dollar je Feinunze die 3.000er-Marke ins Visier.
Der US-Dollar profitiert einmal mehr von schwierigen Zeiten, selbst wenn die Probleme in den USA ökonomisch kaum geringer sind. Der Euro leidet jedoch zusätzlich unter den zunehmenden politischen Konflikten in der Währungsunion und „gewinnt“ damit im internationalen Abwertungswettlauf. Der Euro-Dollar-Kurs fällt auf die Parität.
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