Gerade in unsicheren Zeiten erhält die Frage „Wer führt uns in die Zukunft?“ einen besonderen Stellenwert. Und dass vieles unklar ist, lässt sich nicht nur an Wirtschaftsindikatoren ablesen.
Im Jahr 2020 wurde „lost“ zum Jugendwort des Jahres gekürt – im Sinne von nicht nur ahnungslos, sondern nicht mehr verstehend, was gerade passiert.
Geht es Ihnen auch so wie den Jugendlichen? Die aktuelle Situation zählt vermutlich zu den schwierigsten, die wir je erlebt haben. Diese Krise ist noch nicht gemeistert und wir wissen auch nicht, wann wir sie meistern werden.
Die Covid-19-Pandemie hat die Welt verändert. Zum Schutz der Gesundheit wurden Maßnahmen eingeführt, die sich vorher kaum jemand vorstellen konnte: Ausgangssperren, Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, Alkohol-, Beherbergungs- und Versammlungsverbote sowie vieles mehr – also Eingriffe in die persönlichen Rechte und Freiheiten.
„Der größte Feind des Wissens ist nicht Ignoranz,
sondern die Illusion, wissend zu sein.“
Stephen Hawking (1942 – 2018)
Zur Stabilisierung der Wirtschaft haben die Staaten jedoch auch zahlreiche fürsorgliche Maßnahmen für Unternehmen und Arbeitnehmer ergriffen: z. B. die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes, Steuersenkungen und -erleichterungen, Soforthilfen, Überbrückungskredite sowie Bürgschaften. Die historischen Interventionen von Regierungen und Notenbanken haben die Nachfrage und die Finanzmärkte stabilisiert, eine tiefe Rezession war aber nicht zu vermeiden.
Die Auswahl der Maßnahmen zwischen den einzelnen Ländern variiert stark. Manche verfolgen eine extreme Einschränkung und Kontrolle des öffentlichen Lebens für einen längeren Zeitraum, während andere eher kürzere und selektive Lockdowns bevorzugen, dieses Instrument jedoch öfter einsetzen. Schweden geht den Weg geringer Einschränkungen und arbeitet mit Empfehlungen, wobei die Eigenverantwortung im Mittelpunkt steht. Expliziter Schutz gilt lediglich denjenigen, für die das Virus besonders gefährlich ist. Finanzielle und geldpolitische Unterstützung werden in jedem Land großzügig gewährt.
Die einzelnen Staaten wollen also das Verhalten ihrer Bürger lenken und gleichzeitig mit unterstützenden Maßnahmen zur Seite stehen. Diese Strategie wird üblicherweise als erzieherische Arbeit bezeichnet.
Grundsätzlich gibt es unterschiedliche Bereiche, in denen Erziehung durch verschiedene Verantwortliche stattfindet. Angefangen vom Elternhaus über Bildungseinrichtungen, Seelsorge, Sozialarbeit und vielem mehr. Daneben gibt es noch die Kinderfrau, das Kindermädchen oder die Gouvernante, die sich viele Familien im strengen Lockdown gewünscht hätten. Für diese Art der Kinderbetreuung hat sich aus dem Angelsächsischen der Begriff der Nanny etabliert, also eine möglichst gut qualifizierte Person, die sich zur Aufgabe gemacht hat, mit großer Fürsorge ein Kind auf ein selbstbestimmtes Leben vorzubereiten.
In der Musical-Welt hat dieses Thema mit „Mary Poppins“ große Erfolge eingespielt, wobei ihre Erziehungsmethoden sehr speziell waren. Mit ihren magischen Fähigkeiten und ihrer konstruktiven Grundhaltung schaffte sie es, auch in vermeintlich aussichtslosen Situationen Lösungen zu finden.
„Wenn die Welt kopfunter hängt, ist es die beste Idee, sich einfach mit ihr umzudrehen.“
Mary Poppins
Offensichtlich wäre derzeit auch in der Erwachsenenwelt eine Nanny wünschenswert, die uns durch die Krise führt. Doch was sind hier die richtigen Maßnahmen und zu welcher Zeit?
In der Wissenschaft gibt es nicht die eine Erziehungsmethode. Die diversen Ansätze unterscheiden sich darin, welche Zielsetzungen und Normen zugrunde liegen. Entscheidend für den Erziehungsstil ist jedoch die Einstellung des Erziehenden. Allerdings wird die Erziehung auch von der jeweiligen Kultur geprägt, sodass sich diese zwischen den Ländern unterscheidet und über die Zeit verändern kann.
Erziehungselemente können anhand zahlreicher Merkmale kategorisiert werden, angefangen von Fürsorge über Unterstützung, Einschränkung, Kontrolle bis hin zurÜberbehütung. Letzteres stellt ebenso eine Gefahr dar wie die Vernachlässigung von Schutzbefohlenen. Dies gilt auch für Volkswirtschaften: Sowohl ein Laissez-faire als auch die umfassende staatliche Bevormundung bleiben nicht folgenlos, wobei der zweite Ansatz seit einiger Zeit immer mehr an Beliebtheit gewinnt.
Die kräftige Ausweitung der staatlichen Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen mag kurzfristig angemessen sein. Sie birgt aber mittel- bis langfristige Risiken, nicht nur für die Freiheit des Einzelnen, sondern auch für die ökonomische Dynamik. Angesichts des demografischen Wandels sind ein großer und moderner Kapitalstock sowie eine hohe Arbeitsproduktivität wichtig, gerade in Deutschland. Wie sich welche Partei im Bundestagswahlkampf 2021 diesbezüglich positioniert, sollte deshalb aufmerksam beobachtet werden. Wer ist bereit, das langfristige Wohl des Schützlings über kurzfristige politische Vorteile zu stellen?
In der Handels- und Wettbewerbspolitik scheint es derzeit so, als nähme die Gouvernante vielerorts chinesische Gesichtszüge an. In China wird der bisher erfolgreiche Umgang mit der Pandemie als neuerlicher Beweis der Überlegenheit des eigenen Systems interpretiert. Kritik aus dem Ausland verbucht man immer mehr als Neid derer, die nicht von der weisen Führung der Kommunistischen Partei profitieren. Auch westliche Politiker tendieren vermehrt dazu, den chinesischen Erziehungsstil gutzuheißen.
Grundprinzip einer guten Erziehung sollte es sein, den Zögling auf ein selbstbestimmtes Leben vorzubereiten.
Damit der Zögling irgendwann auf eigenen Beinen stehen kann, ist eine optimale Mischung aus Fürsorge und Unterstützung auf der einen Seite sowie Kontrolle, Verboten und Einschränkungen auf der anderen Seite notwendig. Solche Elemente sind glücklicherweise zumindest in manchen Konjunkturprogrammen zu finden.
In unserem negativen Alternativszenario verstärkt sich die Unsicherheit noch einmal. Gerade die Dinge, die wir nicht sehen, machen hier Angst. Der Poltergeist verkörpert dieses Phänomen. Obwohl gestaltlos, schikaniert er Häuser und deren Bewohner. So wird die Weltwirtschaft weiter von dem fast unsichtbaren Virus gequält, sollte kein Impfstoff gefunden werden. Aber auch andere Unruhestifter könnten die Verunsicherung erhöhen: z. B. Protektionismus und Nationalismus. Allein die Angst vor diesen Geistern kann die Weltwirtschaft zurück in eine Rezession führen.
Nicht alles, was sich gerade verändert, ist schlecht. Die Digitalisierung eröffnet Möglichkeiten, die für viele noch unvorstellbar klingen. Die neue, aus heutiger Sicht künstliche Welt kann nicht nur medizinischen Fortschritt und Arbeitserleichterungen, sondern auch ein nachhaltiges und produktives Wirtschaften ermöglichen. Der Avatar symbolisiert den erfolgreichen Strukturwandel, neue Erkenntnisse und deren Umsetzung. In diesem Szenario erholt sich die Weltwirtschaft sehr schnell von der Krise. Innovationen treiben den Fortschritt und das Wachstum sowie die Aktienmärkte deutlich an.
Wir wissen nicht viel, aber wir können jeden Tag etwas lernen – wenn wir es zulassen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2021.
Ihre
Chefvolkswirtin / Leitung Research
Mit den Newslettern und Publikationen von Volkswirtschaft/Research