Der Zuzug in urbane Räume reißt nicht ab. Schon 2030 könnten nach Schätzungen der Vereinten Nationen acht von zehn Deutschen in Städten leben. Die Frage ist nur wo? Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung fehlen schon heute in den 77 Großstädten schätzungsweise 1,9 Millionen Wohnungen. Mieten und Kaufpreise steigen scheinbar unaufhaltsam – Wohnraum wird für immer größere Teile der Bevölkerung unerschwinglich. Gleichzeitig bedeutet diese ungedeckte Nachfrage ein enormes unternehmerisches Potenzial für die Wohnungswirtschaft, das vielerorts aber oft nicht vollständig abrufbar ist – zum Beispiel, weil Genehmigungen für Neubauten häufig viel Zeit erfordern.
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Die Helaba engagiert sich auf vielfältige Weise, um die wirtschaftlichen Chancen durch die Urbanisierung für das Unternehmen zu nutzen, aber auch, um die Bedürfnisse der Menschen zu bedienen und möglichst viele Angebote für urbanes Wohnen zu entwickeln. Dafür hat sie effiziente Spezialkreditfonds aufgelegt, die Kapital für den Wohnungsbau bereitstellen und gleichzeitig die Anleger von den dort erzielten Renditen profitieren lassen. Über das Tochterunternehmen GWH mit Sitz in Frankfurt ist das hessische Finanzinstitut weiterhin direkt am Bau neuer Wohnungen und an der Entwicklung neuer urbaner Ideen beteiligt. Stefan Bürger ist seit Januar 2014 Mitglied der GWH-Geschäftsführung, seit Januar 2020 hat er den Vorsitz inne. Der Megatrend Urbanisierung ist für ihn in vielerlei Hinsicht bedeutsam – er glaubt aber auch, dass die Öffentlichkeit diese Entwicklung oft nur sehr verkürzt wahrnimmt.
Stefan Bürger: „Wir beobachten natürlich einen Nachfrageüberhang bei urbanen Räumen. Damit sind aber nicht nur die Großstädte gemeint, sondern allgemein jene Orte, in denen urbane Infrastrukturen zusammenfinden, die städtisches Leben ermöglichen. Das gelingt zum Beispiel auch in einigen Kleinstädten ebenso wie in Metropolregionen.“
Das Immobilienunternehmen entwickelt, baut und verwaltet seit 1924 innovativen, profitablen und bezahlbaren Wohnraum. Aktuell verwaltet die 100-prozentige Helaba-Tochter rund 50.000 Wohnungen.
Stefan Bürger verantwortet bei der GWH unter anderem die Unternehmensstrategie sowie die Entwicklung, den Handel und das Management von Immobilien. Damit ist die Frage, wie die GWH auf die Urbanisierung reagiert, zentrales Thema seiner Arbeit. Einfache Antworten gibt es dafür nicht. Vor allem, weil laut Bürger die Urbanisierung nicht für eine geradlinige Bewegung der Menschen vom Land in die Stadt steht, denn in der Realität zeigt sich das Phänomen weitaus komplexer:
Stefan Bürger: „Es gibt nicht die eine Abwanderung vom Land in die Stadt. Stattdessen haben wir es mit teilweise sehr unterschiedlichen Bevölkerungsströmen zu tun, mit sehr individuellen Ursachen, Personengruppen und Lebenszielen.“
Stefan Bürger, Vorsitzender der Geschäftsführung, GWH Wohnungsgesellschaft Hessen mbH
Neben den Top 8 der Großstädte, in denen sich oft mehrere dieser unterschiedlichen Ströme vereinen und dort dann häufig schwer zu identifizieren sind, entstanden in der jüngsten Vergangenheit zahlreiche sogenannte „Schwarmstädte“. Sie sind der Zielpunkt von Wanderungsbewegungen ganz bestimmter Bevölkerungsgruppen geworden.
Stefan Bürger: „Garmisch-Partenkirchen etwa erlebt einen Zustrom von Senioren im Alter 70 plus, Kassel wiederum hat eine überproportionale Berufsanfängerzuwanderung, dazu kommen die klassischen Studierenden- oder Beamtenstädte.“
Sogar im Mikrokosmos einer einzelnen Stadt lässt sich diese Entwicklung mit Blick auf die jeweiligen Stadtteile wiederfinden. In diesem Sinne versteht Bürger auch die Herausforderungen der Urbanisierung für Unternehmen wie die GWH:
Stefan Bürger: „Es geht nicht darum, einfach nur mehr Wohnraum in den Städten zu schaffen, sondern vielmehr gezielt Angebote für die jeweilige Schwarmstadt oder gar ein Stadtviertel zu schaffen. Studenten etwa brauchen keine Komfort-Angebote, die älteren Bevölkerungsgruppen dagegen schon eher, allerdings ergänzt um passgenaue Dienstleistungen wie etwa Pflege.“
Stefan Bürger, Vorsitzender der Geschäftsführung, GWH Wohnungsgesellschaft Hessen mbH
Die GWH baut zum Beispiel in Gegenden mit einem hohen Zuzug älterer Menschen gezielt seniorengerechte Wohnungen, die in enger Abstimmung mit Partnern wie den Johannitern aus dem Pflegesektor entwickelt werden: mit großen Türen zum einfachen Bewegen von Pflegebetten, vorinstallierten Notrufen und Treppenliften. Die Johanniter bieten dann für diese Objekte auch den Pflegeservice an – ein Angebot aus einer Hand, das für Senioren echte Mehrwerte bietet. Die hohe Attraktivität schafft große Nachfrage.
Stefan Bürger: „Dieses Beispiel ist eines von vielen und es zeigt, dass der vielfältige Trend der Urbanisierung vor allem eine ökonomische Chance bedeutet. Wir fahren die Bautätigkeit hoch, können teilweise auch höhere Mieten durchsetzen. Letztlich gelingt das aber nur, wenn wir den verschiedenen Zielgruppen innovative und passende Angebote machen. Wer einfach nur mehr baut, baut schnell am spezifischen Bedarf vorbei. Unser Ziel muss immer sein, dass wir erfolgreiche wirtschaftliche Modelle entwickeln, die den Menschen genau den Wohnraum bieten, den sie benötigen und auch bezahlen können."
Stefan Bürger, Vorsitzender der Geschäftsführung, GWH Wohnungsgesellschaft Hessen mbH
Es sind ganz pragmatische Entscheidungen der Menschen, die die Urbanisierung antreiben. Sie ziehen dahin, wo sie Arbeit, gute Schulen, Service, Gesundheits- und Freizeitangebote finden. Sie suchen diese urbanen Strukturen, aber nicht unbedingt die Stadt. Den Bevölkerungszuwächsen in den urbanen Zentren stehen Umfragen entgegen, dass vor allem Familien eigentlich am liebsten im Grünen und in städtischen Randlagen wohnen würden. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum vor allem in den Großstädten liegt auch daran, dass vielerorts zu wenig Bauland ausgewiesen wird, die Bauämter unterbesetzt sind und Baugenehmigungen oft zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Die GWH reagiert auf diese Limitierungen zum Beispiel mit Konzepten der Nachverdichtung bestehender Objekte – was aus Sicht der Ressourcenschonung eine sinnvolle Herangehensweise ist.
Stefan Bürger: „Allgemein lässt sich heute sagen, dass Städte immer dann erfolgreich mit der Situation umgehen, wenn die öffentliche Hand gemeinsam mit den Wohnungsbauunternehmen und Banken agiert. Wenn es ein soziales, motiviertes Management gibt, das Wohnraum schafft, aber auch instandhält und keine Bevölkerungsgruppen ausgrenzt. Für diese Art der Partnerschaft steht die GWH.“
Stefan Bürger, Vorsitzender der Geschäftsführung, GWH Wohnungsgesellschaft Hessen mbH