14.01.2022
Die Transformation des Finanzsystems gewinnt weiter an Fahrt. Dies liegt nicht zuletzt an politischen Entscheidungen, wie z.B. jüngst die der UN Klimakonferenz in Glasgow 2021 (COP 26). Zudem steigen bei den Investoren die regulatorischen Anforderungen: So hat etwa die European Banking Authority (EBA) Maßnahmen zur Begrenzung von Klimarisiken bei Finanzinstituten und umfangreiche Berichterstattungspflichten vorangetrieben. Auch kapitalsuchende Unternehmen sehen sich mit steigenden regulatorischen Anforderungen konfrontiert. Sie werden künftig nicht nur darüber berichten müssen, inwieweit ihre Umsätze und Investitionen im Einklang mit der EU-Taxonomie stehen, sondern im Rahmen der geplanten Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) auch wesentlich umfangreicher über ihr ESG-Profil.
Vor diesem Hintergrund erwartet die Helaba Landesbank Hessen-Thüringen in Summe einen nochmaligen deutlichen Anstieg bei Zahl und Volumen von Schuldscheinemissionen mit Nachhaltigkeitselement. Konkret gehen die Helaba-Experten davon aus, dass im Jahr 2022 der Anteil der Schuldscheine mit einer Zinskopplung an ESG-Kennzahlen oder ESG-Ratings sowie der zweckgebundenen nachhaltigen Emissionen insgesamt mehr als 50 % des Marktvolumens betragen wird. Damit dürfte die Marke von 10 Mrd. EUR Platzierungsvolumen überschritten werden. „Die zunehmende Regulierung führt zu einer ganzheitlichen Betrachtung materieller Nachhaltigkeitsrisiken sowohl auf Emittenten- als auch auf Investorenseite“, erläutert Yannick Ferber, Senior Advisor Sustainable Finance Corporate Research & Advisory.
„Die zunehmende Regulierung führt zu einer ganzheitlichen Betrachtung materieller Nachhaltigkeitsrisiken sowohl auf Emittenten- als auch auf Investorenseite.“
Yannick Ferber
Senior Advisor Sustainable Finance Corporate Research & Advisory
Anfang 2016, kurz nach der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 (COP21), wurden erstmals Schuldscheine mit Nachhaltigkeitskomponenten ausgestattet. Den Durchbruch für ESG im Schuldscheinmarkt brachte das Jahr 2021: Das Interesse an Nachhaltigkeitsthemen – sowohl seitens der Emittenten, als auch der Investoren – wurde nicht zuletzt durch das Inkrafttreten der EU-Taxonomie-Verordnung sowie der Corona-Krise beflügelt. Das Volumen nachhaltig ausgestalteter Schuldscheindarlehen stieg auf 5,8 Mrd. EUR. Ihr Marktanteil verdreifachte sich auf 29 %. Dabei dominierten Sustainability-Linked Transaktionen mit einem Anteil von mehr als 80 %.
Zu den Highlights des Jahres 2021 gehörte die erstmalige Begebung eines Social Corporate Schuldscheins durch den schwedischen Gesundheitsdienstleister Medicover, die den Markt für zweckgebundene Emissionen mit sozialer Ausrichtung eröffnete. Für eine weitere Innovation sorgte die Nassauische Heimstätte, eine der führenden Wohnungsgesellschaften in Deutschland: Mit ihrem Sustainability-Schuldschein wurden erstmals sowohl grüne Investitionen für energieeffizientes Wohnen als auch soziale Investitionen für bezahlbares Wohnen finanziert. Bei den Sustainability-Linked Transaktionen setzte Faurecia neue Akzente. Der größte französische Automobilzulieferer nutzte bei der Zinskopplung nicht das bislang bei Schuldscheinen übliche Bonus/Malus-Konzept, sondern erstmals das im Anleihemarkt gängige „Step-up only“-Konzept.
Die Helaba erwartet, dass die CSRD mit ihren deutlich erweiterten Berichterstattungspflichten hier als Katalysator wirken wird. In Vorbereitung auf diese Regulierung dürften zahlreiche Unternehmen bereits das laufende Jahr nutzen, um ihr Nachhaltigkeits-Reporting zukunftsfit zu machen und konkrete ESG-Ziele im Einklang mit der Unternehmensstrategie zu definieren. „In der Unternehmensstrategie definierte Nachhaltigkeitsziele werden zunehmend durch Kapitalmarktfinanzierungen untermauert“, so Klaus Distler, Head of Corporate DCM. Damit wird der zusätzliche Aufwand für eine Sustainability-Linked Emission drastisch reduziert. Während die Auswahl der Kennzahlen meist naheliegend ist und durch die in der Nachhaltigkeitsberichterstattung enthaltene Wesentlichkeitsanalyse substantiiert werden kann, gestaltet sich die Frage nach ausreichend ambitionierten Zielsetzungen oft schwieriger. Unternehmen werden deshalb verstärkt ihre wichtigsten Nachhaltigkeitsziele einer externen Validierung unterziehen oder an wissenschaftlich fundierten und anerkannten Referenzwerten orientieren. Gleichzeitig werden aber auch ESG-Ratings weiterhin eine Rolle spielen, da sich nicht in allen Branchen geeignete ESG-Kennzahlen finden lassen oder die wichtigsten Nachhaltigkeitsthemen nur schwer zu quantifizieren sind.
„In der Unternehmensstrategie definierte Nachhaltigkeitsziele werden zunehmend durch Kapitalmarktfinanzierungen untermauert.“
Klaus Distler
Head of Corporate DCM
Parallel zum starken Anstieg von Sustainability-Linked Emissionen erwarten die Helaba-Experten im laufenden Jahr ein Anziehen des Volumens zweckgebundener Finanzierungen von dem zuletzt vergleichsweise niedrigen Niveau. Die zunehmende Klarheit über die konkrete Ausgestaltung der EU-Taxonomie - die de facto einen Katalog grüner Investitionen definiert - und die Übung im Umgang mit ihr sollten das absolute Transaktionsvolumen von grünen Schuldscheinen wieder anschieben. Zudem dürfte die Nachfrage nach zweckgebundenen Emissionen seitens der Investoren hoch bleiben, da sie die bestmögliche Transparenz bei der Mittelverwendung bieten und taxonomiekonforme Anlagen auch bei der Berechnung der Green Asset Ratio vorteilhaft sind.
Aktuell haben bereits die meisten Unternehmen ihren ökologischen Fußabdruck und damit die Säule „Environmental“ auf dem Radar. Das Thema „Sozialer Impact“ ist bislang jedoch eher im Hintergrund geblieben. Ein Grund mag die ungleich komplexere Definition und Messung dieses Faktors sein. Die Europäische Kommission hat sich die Stärkung dieser Säule auf die Fahnen geschrieben. Aufbauend auf der EU-Taxonomie erarbeitet eine Expertengruppe in Auftrag der EU aktuell eine entsprechende Social Taxonomy. Mit einer großen Bandbreite, die von der Bereitstellung essenzieller Infrastruktur über den Gesundheits- und Bildungsbereich bis hin zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum reicht, könnten Social Schuldscheine nicht nur für klassische Corporates, sondern insbesondere auch für kommunalnahe Unternehmen interessant sein und dürften spätestens bei der Veröffentlichung der Social Taxonomy an Bedeutung zunehmen.