Bei einer Gratwanderung über unbekanntes Terrain und mit minimaler Sichtweite ist ein Absturz ein stets gegenwärtiges Risiko. Dass das Stolpern im Basisszenario nicht der schlechtmöglichste Ausgang dieser Bergwanderung ist, liegt auf der Hand.
Selten waren die Gefahren am Wegesrand so groß wie 2023. Vieles, aber nicht alles, hängt dabei mit der geopolitischen Lage und der Energieversorgung zusammen. Inflation ist im Negativszenario mehr ein Thema als sonst.
Der Auslöser für den konjunkturellen Absturz kann wie so oft aus vielen Richtungen kommen, darunter völlig unerwarteten. Für 2023 steht insbesondere eine geopolitische Eskalation im Fokus. Auch ohne militärische „worst-case“-Annahmen droht sich der Ukraine-Konflikt zu intensivieren, mit entsprechenden Auswirkungen auf Finanzmärkte und Wirtschaftsstimmung bei uns.
Die Schwierigkeiten der Industriestaaten, sich kurzfristig von der russischen Wirtschaft abzunabeln, unterstreichen zudem die ungleich größeren Probleme, die drohen, wenn ein zunehmend aggressives China einen ähnlichen außenpolitischen Kurs einschlagen würde.
Selbst die Pandemie und ihre Nachwirkungen bleiben potenzielle Belastungsfaktoren: Höhere Krankheitsstände können die Konjunktur bremsen, auch wenn es keine Lockdowns mehr gibt. Die Lieferkettenprobleme und anderen Angebotsengpässe erweisen sich als zäher als gedacht.
Der Zinsschock 2022 und der starke Dollar sind darüber hinaus Ingredienzien für eine Schwellenländerkrise – wobei im aktuellen Umfeld Rohstoffexporteure und Abnehmer von billigen russischen Rohstoffen besser dastehen als Rohstoffimporteure, die am Embargo teilnehmen.
Eine Gasmangellage ist gerade für die deutsche Industrie eine kritische Bedrohung, obwohl die unmittelbaren Preiseffekte wohl durch umfangreiche staatliche Eingriffe gedämpft würden. Produktionseinstellungen wegen Energierationierung und ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit führen insbesondere in energieintensiven Branchen teilweise zur Abwanderung ins kostengünstigere Ausland.
Ob dies in eine Deindustrialisierung mündet, ist offen – zumal unklar ist, inwieweit die Politik am Erhalt energieintensiver und „dreckiger“ Produktionsprozesse überhaupt noch interessiert ist.
„Schutzschirme für alle“ sind die neue Mode und im Zweifelsfall werden einfach mehr Schulden gemacht. Aber dieses Modell stößt an Grenzen, wenn konjunkturelle fiskalische Lasten, mehr Militärausgaben, hohe Dekarbonisierungskosten und zunehmende demografische Belastungen für die Rentensysteme zusammenkommen.
„Die Menschen stolpern nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel.“
Konfuzius
Dies wird den Drang in Richtung Fiskalunion in der EU verstärken, kann aber gleichzeitig zu Konflikten mit den Notenbanken führen. Diese finden sich in einer Zwickmühle wieder: Sollen sie die Inflation bekämpfen oder der schrumpfenden Wirtschaft mit mehr Liquidität aushelfen und dem Staat das Schuldenmachen erleichtern? Der geldpolitische Lockerungsspielraum wird dadurch eingeschränkt.
Regulatorische Reformen haben zwar das Finanzsystem für die drohenden Belastungen robuster gemacht. Zudem sind die Wirkungen von Zinsschocks aus der Vergangenheit wohlbekannt. Gelernte Lektionen könnten aber vergessen worden sein und an den Finanzmärkten sind viele neue Akteure tätig. Im Negativszenario ergeben sich daher akute Probleme für die Finanzstabilität. Es kommt zum „Stresstest für die Stresstests“.
Die Wirtschaft in den Industriestaaten schrumpft kräftig, die Arbeitslosigkeit nimmt deutlich zu. Vor allem Europa wird von dieser Krise hart getroffen, während die USA als Nettoenergieexporteur und China als Nutznießer von billigen russischen Rohstoffimporten weniger stark im Mitleidenschaft gezogen werden. Deutschland und die Eurozone geraten in eine tiefe Rezession.
Regional unterschiedlich ist vor allem das Bild bei der Inflation. Während in Europa Gasmangel herrscht, entlastet ein aus konjunkturellen Gründen nachgebender Preis am globalen Ölmarkt. Dies schlägt in den USA kräftiger durch als bei uns. Auch im Negativszenario bleibt die Teuerung in der Eurozone deswegen vorerst hoch. Mit dem massiven Konjunktureinbruch sinken dann allerdings auch hier die Inflationsraten.
Dennoch wechseln die Notenbanken in diesem Umfeld ihren Kurs. Die Zinsen werden wieder gesenkt, wenn auch nicht auf den Stand von 2020/2021. Neue Kaufprogramme sind angesichts der 2023 noch immer hohen Teuerungsraten problematisch, vor allem in der Eurozone.
An den Rentenmärkten wird die Kurswende der Notenbanken zu einem deutlichen Rückgang der Kapitalmarktzinsen führen, ohne dass allerdings wieder negatives Terrain erreicht wird. Unterstützt wird die Bewegung durch eine Flucht in vermeintlich sichere Anlagehäfen und sinkende langfristige Inflationserwartungen. Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen notiert in diesem Szenario am Jahresende 2023 bei rund 0,75 %.
Bei den Corporates steigen die Ausfallraten aufgrund der schwachen Wirtschaftsentwicklung deutlich und führen zu einem kräftigen Anstieg der Risikoprämien. Der Anstieg der Kreditausfälle belastet die Gewinne der Banken und kann nicht durch höhere Zinserträge kompensiert werden.
Covered Bonds als „sichere Hafen-Assets“ profitieren von der steigenden Risikoaversion. Dennoch wird zwischen Emittenten und Anleihe-Laufzeiten stärker differenziert.
Da die bekannten Belastungsfaktoren 2023 anhalten und sich sogar noch verschärfen, geben die Unternehmensgewinne stark nach. Die Risikoaversion der Anleger nimmt zu und führt zu einer weiteren Bewertungskontraktion. Aktien setzen ihren Abwärtstrend fort. Der DAX fällt zwischenzeitlich in den Bereich um 10.000 Punkte.
„Zu unserer Natur gehört die Bewegung, die vollkommene Ruhe ist der Tod.“
Blaise Pascal, franz. Mathematiker und Philosoph
Am Immobilienmarkt kommt es zu einer deutlichen Korrektur, die nicht nur die gewerblichen Marktsegmente betrifft, sondern auch am Wohnungsmarkt zu erheblichen Preisrückgängen führt. Zinssenkungen der Notenbanken sorgen kurzfristig nicht für eine Entspannung, da Immobilienkreditgeber im Umfeld der tiefen Rezession vorsichtig agieren.
Gold erfährt eine Renaissance als Krisenabsicherung. Als sicherer Anlagehafen dürfte das Edelmetall seine alten Hochs mühelos überwinden und in Richtung 3.000 US-Dollar je Feinunze klettern.
Der US-Dollar bleibt weiter als sicherer Anlagehafen gefragt. Dass Europa besonders von der Krise betroffen ist, spiegelt sich auch am Devisenmarkt wider. Der Euro-Dollar-Kurs fällt bis auf 0,90.
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