23.11.2021
Nach der tiefen Rezession im Frühjahr 2020 hat die Weltwirtschaft mit zwischenzeitlichen Unterbrechungen Fahrt aufgenommen. 2022 wird sie sich auf eine neue Reise begeben. Der Konjunktur- und Kapitalmarktausblick der Helaba geht der Fragen nach, wohin die Reise geht und was die Weltwirtschaft auf ihrer Reise erlebt. Das Hauptszenario trägt den Titel „Aufschwung all inclusive“. Unerwartete Störungen könnten Wirtschaft und Finanzmärkte aber auch auf einen Horrortrip (Negativszenario) schicken. Im Positivszenario bricht die Weltwirtschaft zu einer Traumreise auf - getragen vom klimafreundlichen Umbau unserer Wirtschaft.
Die Weltwirtschaft erholt sich weiter vom Schock der Pandemie. Dabei fällt der Aufschwung äußerst ungewöhnlich aus. „Die aufgestaute Nachfrage und die expansive Geld- und Fiskalpolitik tragen erheblich zur Erholung der Weltwirtschaft bei. Die Länder befinden sich in einem Aufschwung, der quasi durch „all inclusive-Pakete“ der Notenbanken und Regierungen unterstützt wird. Dies wird noch weit ins Jahr 2022 tragen und die Arbeitsmärkte weiter verbessern. Gleichzeitig begleiten Lieferengpässe und zunehmender Preisdruck – sonst spätzyklische Phänomene – diesen Aufschwung fast von Beginn an“, erläutert Dr. Gertrud R. Traud, Chefvolkswirtin der Helaba.
Die Wachstumsdynamik bleibt in den großen Volkswirtschaften über dem Trend. Für Deutschland sehen die Helaba-Volkswirte und -Volkswirtinnen einen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 4 Prozent – nach knapp 3 Prozent in 2021. In der Eurozone wird das Wachstum mit fast 4 Prozent dagegen unter dem des Vorjahres (5,1 Prozent) liegen. In den USA ist ein BIP-Anstieg von 4 Prozent realistisch – nach 5,5 Prozent im Jahr 2021.
Nachhaltigkeit und die politische Umsetzung der Klimawende werden 2022 nicht nur in Deutschland im Fokus stehen. Der damit verbundene erhebliche Investitionsbedarf birgt angesichts der vielfach angespannten Lage der öffentlichen Haushalte und hoher Auslastung in zentralen Branchen wie dem Baugewerbe Konfliktstoff. Effizienz und Zielgenauigkeit sollten daher angesichts knapper Ressourcen entscheidende Kriterien für die ergriffenen Maßnahmen sein. Zu klären ist ebenfalls, wer die erforderlichen Ausgaben letztlich trägt. Die Qualität der politischen Schritte in Richtung eines nachhaltigeren Wirtschaftens wird 2022 ein entscheidender Faktor für die Stimmung an den Finanzmärkten, in der Wirtschaft insgesamt und in der Bevölkerung sein.
Fiskal- und Geldpolitik haben in den vergangenen zwei Jahren ihr Pulver weitgehend verschossen. Die Stimuluspakete haben in der Pandemie gute Dienste geleistet, machen es aber jetzt fast unmöglich, kurzfristig neue konjunkturelle Impulse zu geben. Selbst wenn schon 2022 in erheblichem Umfang Geld für die Klimapolitik ausgegeben werden sollte, wirkt die Fiskalpolitik in den meisten Industriestaaten restriktiv. Gleichzeitig wurden erhebliche Ungleichgewichte aufgebaut. „Denn die expansive Wirtschaftspolitik hat die Nachfrage so angepeitscht, dass das Angebot nicht Schritt halten kann und kritische Engpässe nun einen Inflationssprung verursachen, wie man ihn vielerorts seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat“, so Dr. Gertrud R. Traud.
In der Eurozone werden die Verbraucherpreise im Jahresdurchschnitt 2022 mit 2,4 Prozent ähnlich stark zulegen wie im Vorjahr, in Deutschland mit 2,7 Prozent. In den USA wird die Teuerung bei 4 Prozent liegen, immer noch deutlich höher als gewünscht.
Die wichtigsten Notenbanken bewegen sich trotz kräftigen Wachstums und hoher Inflation nur im Zeitlupentempo. Die US-Notenbank dürfte den Leitzins erst im Herbst 2022 anheben, nachdem sie ihr Kaufprogramm beendet hat. Die EZB wird zwar ihre Anleihekäufe zurückführen, aber keine Leitzinsänderung vor 2023 vornehmen.
Am Aktienmarkt rechnen die Helaba-Volkswirte und -Volkswirtinnen angesichts der mittlerweile erreichten Rekordstände, hoher Bewertungen und weiterhin bestehender Unsicherheiten mit hoher Volatilität innerhalb einer Handelsspanne von 15.000 bis 16.500 Punkten. Timing ist also gefragt, um attraktive Kursgewinne in einer Größenordnung der historisch durchschnittlichen jährlichen DAX-Performance von rund 8 Prozent zu generieren. Der DAX dürfte gegen Jahresende wieder bei rund 16.000 Zählern notieren.
Renten haben es in einem inflationären Umfeld erfahrungsgemäß schwer. Auch 2022 ist mit Kursverlusten zu rechnen. Dank des bremsenden Notenbankeinflusses dürften sich diese aber in Grenzen halten. 10-jährige Bundesanleihen werden gleichwohl den negativen Renditebereich verlassen und am Jahresende 2022 bei rund 0,2 Prozent notieren.
Immobilien profitieren weiterhin von den sehr niedrigen Zinsen. Die Assetklasse hat die Krise gut überstanden und erholt sich 2022 weiter. Während strukturelle Veränderungen wie der Onlinehandel und die verstärkte Nutzung des Homeoffice das gewerbliche Segment bremsen, setzt sich der Aufwärtstrend bei Wohnimmobilien bei nach wie vor hoher Nachfrage und knappem Angebot fort.
Auch bei Gold erwarten die Helaba-Volkswirte und -Volkswirtinnen eine hohe Volatilität, aber mit umgekehrtem Vorzeichen wie bei Aktien. Das Edelmetall dürfte das Niveau um 1.800 US-Dollar bzw. 1.510 Euro je Feinunze verteidigen, da Inflationssorgen im neuen Jahr im Handgepäck mitreisen.
Im negativen Alternativszenario belasten externe Schocks, strukturelle Probleme sowie Politikfehler und schicken Wirtschaft und Finanzmärkte auf einen Horrortrip. Rentenpapiere, der US-Dollar und der Goldpreis steigen, während Aktien stark korrigieren. Wohnimmobilien schlagen sich aufgrund der weiterhin sehr niedrigen Zinsen trotz des rezessiven wirtschaftlichen Umfeldes gut.
Im positiven Alternativszenario bricht die Weltwirtschaft gemeinsam zu einer Traumreise auf. Der klimafreundliche Umbau verspricht dauerhafte Verbesserungen. Öffentliche und private Investitionen haben selten eine so hohe „Rendite“ versprochen wie aktuell – nicht nur, weil sie letztlich der Schlüssel zur Lösung der Engpassproblematik sind. Aktien werden als Gewinner hervorgehen. Der DAX steigt bis auf 18.000 Indexpunkte. Die Zinsen steigen kräftiger an, Gold verliert deutlich. Der Preisanstieg bei Wohnimmobilien kann aufgrund der steigenden Zinsen nicht an die Performance des Hauptszenarios heranreichen
Neben den Kapitalmarktprognosen enthält der Jahresausblick 14 Länderanalysen sowie Kurzberichte zu den Bundesländern Hessen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg.