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Bahn frei für neue Ge­schäfte

Duis­burg braucht drin­gend neue Straßen­bahnen, doch die kosten viel Geld. Und Gewinne lassen sich mit dem öffent­lichen Per­sonen-Nah­ver­kehr auch nicht erzielen. Warum sollte es für eine Bank trotz­dem einen Anreiz geben, hier einen Kredit zu ver­geben? Mit großem Spür­sinn für das Mach­bare hat die Helaba ein inno­vatives Finan­zier­ungs­modell ent­wickelt, das Sicher­heit mit Zu­kunfts­fähig­keit vereint.

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Öffentliche Hand

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Wer vom Duis­burger Haupt­bahn­hof zur Zentrale der Duis­burger Ver­kehrs­gesell­schaft AG (DVG) fährt, nimmt die Straßen­bahn­linie 903. Es ist früher Nach­mittag, die Berufs­schüler­innen und -schüler befinden sich auf dem Heim­weg, junge Eltern sind mit Buggys unter­wegs, die ersten Berufs­tätigen kommen von der Früh­schicht. Ent­sprechend voll ist die Bahn, in der der Fahr­komfort einige Wünsche offen­lässt. Wer sitzt, schwitzt an der bollernden Heizung, wer steht, fröstelt im Wind­zug. Die An­sagen für die nächste Halte­stelle sind schwer zu ver­stehen, weitere Infos gibt es nicht. Bei jedem Stopp ent­steht Ge­dränge, weil sich Kinder­wagen, Klapp­räder und Rol­latoren in die Quere kommen. Wer in dem 30 Jahre alten Fahr­zeug unter­wegs ist, er­kennt schon nach wenigen Stationen: Neue Straßen­bahnen für Duis­burg wären kein Luxus.

Marcus Wittig, Vorstandsvorsitzender der DVG
Marcus Wittig, Vorstandsvorsitzender der DVG

„Barriere­frei­heit, Digi­tali­sierung, Sicher­heit und Kom­fort: Der Kauf der modernen Straßen­bahnen ist ein Meilen­stein für den öffent­lichen Personen­nah­ver­kehr in Duis­burg.“

Marcus Wittig,
Vorstands­vorsitzender der DVG

Straßenbahnen in Duisburg

47 Bahnen für 135 Millionen Euro

Und es tut sich was: Eine neue Fahr­zeug­flotte ist bereits in Auftrag gegeben. Spätestens Anfang 2020 sollen zwei Proto­typen zum Einsatz kommen, ab 2021 folgt die Serien­aus­lieferung von ins­gesamt 47 neuen Bahnen, ent­wickelt vom Her­steller Bom­bardier. Die neuen Wagen, die zu großen Teilen bar­riere­frei sind, bieten den Fahr­gästen mehr Platz. Eine Klima­anlage sorgt für ange­nehme Temperaturen im Winter und Sommer, große Monitore geben rele­vante Infos zu Halte­stellen und Um­steige­möglich­keiten. Kurz: Der Kom­fort wird enorm steigen. Ent­sprechend zu­frieden ist DVG-Chef Marcus Wittig mit der An­schaffung: „Der Kauf ist ein Meilen­stein für den öffent­lichen Per­sonen­nah­ver­kehr in Duis­burg.“ Bisher nutzen pro Jahr rund 63 Millionen Menschen den kommunalen ÖPNV. Diese Zahl soll steigen, sagt Wittig. „Damit tragen die Fahr­gäste nicht nur zu einer Ent­lastung der Straßen bei, sondern leisten auch einen wichtigen Beitrag für saubere Luft in Duis­burg.“

Die An­schaffung kostet die DVG rund 135 Millionen Euro, das ist beinahe ein Zehntel des kom­munalen Etats von Duis­burg. Für die DVG ist diese Investition in den ÖPNV also keine Kleinig­keit. Mit der Helaba hat die Gesell­schaft einen guten Partner für die Finan­zierung gefunden. Der Grund dafür: „Neben der Ver­traulich­keit und Ver­lässlich­keit schätzen wir be­sonders die Inno­vations­kraft des Finan­zierungs­modells“, erklärt Marcus Wittig.

„Schauen sich Banker das Ergebnis eines kom­munalen Verkehrs­unter­nehmens an, setzt in der Regel zunächst einmal der Flucht­instinkt ein.“

Thomas Brauers,
Strate­gisches Finanz­mana­gement DVG

Thomas Brauers, Strategisches Finanzmanagement DVG
Thomas Brauers, Strategisches Finanzmanagement DVG

Wenn Banker Neu­land be­tre­ten

Tat­säch­lich hat die Helaba mit der Finan­zierung Neu­land be­tre­ten. Christoph Wolff hat als Kundenberater bei der Helaba den Deal ein­ge­leitet. Seine Auf­gabe war es, für das Ge­schäft die Per­spek­tive zu wechseln. „Wer mit der üblichen betriebs­wirt­schaft­lichen Brille auf die Inves­tition schaut, er­kennt sofort die Schief­lage: Der ÖPNV ist ein chronisch defi­zitäres Geschäft“, sagt Wolff. Das hat vor allem sozial- und um­welt­politische Gründe: Einer­seits sollen sich möglichst viele Menschen die Tickets leisten können, anderer­seits muss das ÖPNV-Ange­bot attraktiv sein, um als Alter­native zum Auto eine Chance zu haben. Mit diesem Spagat lässt sich kein Geld ver­dienen, das ist allen Betei­ligten klar. „Schauen sich Banker das Er­gebnis eines kom­mu­nalen Ver­kehrs­unter­nehmens an, setzt daher in der Regel zu­nächst einmal der Flucht­instinkt ein“, gesteht Thomas Brauers, der bei der DVG für das Strate­gische Finanz­mana­gement zu­ständig ist. Auch deshalb war es bisher die Regel, dass städt­ische Ver­kehrs­unter­nehmen neue Bahnen durch kom­mu­nale Aus­fall­bürg­schaften finan­zierten. Doch nun hat die Helaba viel Know-how investiert, um der DVG eine eigen­ständige Finan­zierung zu ermög­lichen und das unge­wöhn­liche Ge­schäft auf sichere Beine zu stellen. Welche Faktoren also machen diesen Deal so attraktiv?

Christoph Wolff und Thomas Brauers schauen sich an und lächeln. Die beiden Finanz­experten wissen, dass nun Er­klärungen an­stehen, die Ein­blicke in ein kom­plexes System geben. „Die Stadt Duis­burg ist ver­pflichtet, einen ÖPNV anzu­bieten. Den Auftrag dafür hat sie der DVG, der Duis­burger Ver­kehrs­gesell­schaft, gegeben,“, sagt Thomas Brauers. Zumeist ist es so, dass eine Stadt mit ihrem kom­mu­nalen Energie­ver­sorger Gewinne erzielt, die ver­steuert werden müssen. Um den eigenen Haus­halt zu ent­lasten, darf sie diese Gewinne vor Steuern mit den Ver­lusten durch den ÖPNV ver­rechnen. Steuer­licher Quer­ver­bund heißt das Prinzip, das in Duis­burg durch die Duis­burger Versor­gungs- und Ver­kehrs­gesell­schaft mbH (DVV) abge­bildet wird.

Thomas Brauers von der DVG im Gespräch mit Christoph Wolff von der Helaba
Thomas Brauers von der DVG im Gespräch mit Christoph Wolff von der Helaba

„Wer mit der üblichen betriebs­wirt­schaft­lichen Brille auf die Investition schaut, erkennt sofort: Der ÖPNV ist ein chronisch defizitäres Geschäft. Wir haben mit detektiv­ischer Pionier­arbeit ein Modell ent­wickelt, sodass es sich dabei trotzdem um einen gesicherten Wert handelt.“

Christoph Wolff,
Öffentliche Hand

Zeit für den Ruhestand: Viele DVG-Straßenbahnen sind mehr als 30 Jahre alt, eine neue Fahrzeugflotte ist bereits in Auftrag gegeben. Schon 2020 kommen zwei Prototypen zum Einsatz, 2021 folgt die Serienauslieferung.
Zeit für den Ruhestand: Viele DVG-Straßenbahnen sind mehr als 30 Jahre alt, eine neue Fahrzeugflotte ist bereits in Auftrag gegeben. Schon 2020 kommen zwei Prototypen zum Einsatz, 2021 folgt die Serienauslieferung.

Ein System mit Auf­fang­lösungen

Starke Energie­ver­sorger und ÖPNV-Unter­nehmen unter einem Dach – für Kredit­geber ergeben sich dadurch Sicher­heiten. Doch der Vertriebler Christoph Wolff weiß, dass gesunde Skepsis zu den Kern­kompe­tenzen beim Risiko­mana­gement gehört. Weil er die Regularien kennt, nach denen die Kredit­abteilung die Bonität eines Kunden oder einer Kundin prüft, stellte er sich schon vorher ent­scheidende An­schluss­fragen: Was, wenn auch der kommu­nale Energie­versorger schwächelt und er die Verluste nicht mehr aus­gleichen kann? Steht das städtische Ver­kehrs­unter­nehmen auch dann noch auf sicheren Beinen oder beginnt es, zu wackeln? „Also haben wir geprüft, welche weiteren Anker das System bietet“, erklärt Wolff und erinnert sich zurück an Arbeits­wochen, in denen er und sein Team die kompli­zierte Struktur des ÖPNV durch­forsteten. „Wir saßen vor einem großen Berg an Regel­werken und Gesetzen, die wir erst mal in all ihren Fein­heiten durch­dringen mussten“, sagt Wolff und lächelt. EU-Ver­gabe­richt­linien, das Personen­beförderungs­gesetz des Bundes, das ÖPNV-Gesetz von Nord­rhein-West­falen, die Struktur des Verkehrs­verbundes, die Be­sonder­heiten in Duis­burg – „Wir hatten ein großes Ziel: Wir wollten auch für die­jenigen, die es ge­wohnt sind, in Kenn­zahlen zu denken, heraus­arbeiten, dass dieses ÖPNV-System von sich aus tragfähig ist. Seine Be­stand­teile sind derart inein­ander verwoben, dass es für alle Even­tuali­täten Auffang­lösungen bietet.“

Wolff und sein Team haben sich aber nicht damit begnügt, in ein paar Gesetze hinein­zu­schauen. „Unsere Aufgabe bestand darin, wirklich alle betref­fenden Regelungen zu lesen, zu verstehen und zu­sammen­zuführen. Wobei wir uns bei jeder Erkenntnis mit unseren Sparrings­partnern bei der DVG rückver­sichert haben, um zu fragen: Sehen wir das richtig – oder haben wir viel­leicht etwas missver­standen?“ Auf diese Weise ent­standen inno­vative Problem­lösungen, eine davon ist das so genannte Endschafts­modell: „Wir befanden uns zu dem Zeit­punkt der verbind­lichen Kreditent­scheidung in einer Übergangs­phase“, erklärt Wolff. Die bestehende Betrau­ung der DVG durch die Stadt Duis­burg, den öffentlichen Personen­nah­verkehr in Duis­burg zu organi­sieren, war nur noch für etwa zwei Jahre gültig – und die vorge­sehene An­schluss­betrauung ab Januar 2020 hatte noch keine Rechts­gültig­keit. „Die Betrau­ung ist aber die ent­scheiden­de recht­liche Grund­lage für das Geschäft der DVG“, führt Wolff weiter aus. „Was also passiert, wenn die DVG aus irgend­einem Grund den Straßen­bahn­verkehr in Duis­burg während des neuen Be­trauungs­zeit­raums nicht mehr aus­führen kann, sei das Szenario aus heutiger Sicht auch noch so theo­retisch?“, fragt Wolff und antwortet sogleich: „Dann stünden die teuren neuen Bahnen auf dem Ab­stell­gleis.“ Denn die können schlicht­­weg aus technischen Gründen nicht ohne Weiteres in anderen Städten einge­setzt werden. Damit die DVG aber auch in diesem Fall in der Lage wäre, die Kredite zu bedienen, haben Wolff und sein Team ein Modell entwickelt, nach dem die DVV dann, verein­facht gesagt, das Recht hätte, die Bahnen an die Stadt Duis­burg zu verkaufen. Und diese stünde in der Pflicht, sie auch anzu­nehmen und zu be­zahlen. Diese Regelung galt es wiederum so aus­zuge­stalten, dass sie mit den kommu­nal­auf­sichts­­rechtlichen An­forder­ungen ebenso vereinbar ist wie mit den EU-Bei­hilfe­be­stim­mungen.

63 Millionen

Bisher nutzen pro Jahr rund 63 Millionen Menschen den kommu­nalen ÖPNV in Duisburg – und tragen so zur Ent­lastung der Straßen und zu sauberer Luft bei.

Auf die Indi­zien­suche folgt die Be­weis­führung

Regel­ungen dieser Art zu erdenken und anzu­stoßen – das habe ihm viel Spaß gemacht, sagt Christoph Wolff und lächelt wieder. „Das war eine beinahe detek­tivische Pionier­arbeit, die man als Banker nicht alle Tage macht.“ Als das Team den Job er­ledigt hatte, stand die wahre Heraus­forderung erst noch bevor: „Wir hatten genügend Indizien gesam­melt, nun stand die Beweis­führung bei den Kolleginnen und Kollegen aus der Risiko­bewertung, der Rechts­ab­teilung sowie bei den Beschluss­gremien an.“ Und die verlief erfolgreich: Die Helaba-Gremien beschlossen das Finan­zierungs­angebot – und die DVG entschied sich für das Angebot der Helaba. Was keine Selbst­verständ­lich­keit war, denn die Duis­burger hatten die Wahl zwischen verschie­denen Kredit­instituten. „Zwar haben einige Banken direkt abgewunken, weil ihnen offen­bar das ÖPNV-System zu komplex ist“, sagt Thomas Brauers, „diejenigen aber, die länger am Ball geblieben sind, haben sehr schnell erkannt, wie viel Sicher­heit dieses System einem Kredit­geber bietet.“

Ent­sprechend verfolgt die Helaba nun das Ziel, mit Hilfe des ent­wickelten Know-hows auch mit anderen kommunalen Verkehrs­unter­nehmen ins Geschäft zu kommen. „Über Duis­burg hinaus hat die Helaba bereits zwei weitere, neue Mandate gewonnen“, sagt Wolff, gibt aber zu bedenken, dass ÖPNV-Finan­zierungen niemals Selbst­läufer sein werden. „Zum einen gibt es in jeder Stadt be­ziehungs­weise in jedem Bundes­land modifizierte Rahmen­be­dingungen, zum anderen lässt sich eine Finan­zierung von Bussen und Bahnen noch relativ leicht ver­mitteln, denn: Fahrzeuge kann man an­fassen.“ Was in naher Zukunft jedoch ver­stärkt auf die Städte zu­kommen wird, sind Investi­tionen in die ÖPNV-Infra­struktur, also in Gleise, Tunnel, Bahn­steige. „Wie sich diese Geschäfte bewerk­stelligen lassen und wie man hier Über­zeugungs­arbeit leistet, das werden wir erst noch erarbeiten müssen.“ Doch Christoph Wolff schreckt diese Arbeit nicht ab. Im Gegen­teil: Er freut sich darauf.

Christoph Wolff, Öffentliche Hand
Christoph Wolff, Öffentliche Hand

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