Nur rund 150 Meter entfernt vom breiten von Bäumen und Wiesen eingefassten Main liegt die Bürgeler Straße in Frankfurt-Fechenheim. Die Lage ist fast schon idyllisch, die Siedlung, die Anfang der 1960er-Jahre gebaut wurde, hat ihre besten Tage allerdings lange hinter sich. An den Wohnblöcken bröckeln die Fassaden, der Putz über den Haustürstürzen hängt herunter. Auch innen sieht es nicht viel besser aus, die Menschen, die hier im Frankfurter Vergleich relativ günstig mieten können, leben in Wohnungen, die auf einem jahrzehntealten Stand sind.
Die Eigentümerin, die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt, kennt die Probleme und geht sie – wie in ihrem gesamten Bestand – nach und nach an. „Bis Ende 2020 sanieren wir hier 72 Wohneinheiten und bringen sie auch energetisch auf den neuesten Stand“, sagt Gregor Steiger. „Wir werden die Fassaden, Kellerdecken und Dächer neu dämmen, neue Bäder und Küchen einbauen sowie die Strom- und Wasserleitungen ersetzen“, beschreibt der Nachhaltigkeitsmanager des Wohnungsunternehmens die Arbeiten, die für die kommenden Monate beauftragt sind.
Die Gebäudehülle wird anschließend dem Standard eines Neubaus entsprechen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Henning Löwer, der bei der Nassauischen Heimstätte die Unternehmensfinanzierung leitet, besucht Steiger an diesem regnerischen Vormittag die Wohnsiedlung. „Für eine bessere Ökobilanz werden wir zudem bei vielen Objekten Photovoltaikanlagen anbringen, wenn es die Form und Ausrichtung der Dächer zulassen. Außerdem wollen wir Solarthermie einsetzen, um Wärme zu erzeugen“, sagt der Nachhaltigkeitsexperte. Wenn die Sanierung im Sommer beendet ist, wird der Primärenergiebedarf bei rund 40 Prozent von dem liegen, was in der Energieeinsparverordnung für Neubauten gefordert wird. Außerdem senkt die Wohnungsgesellschaft den CO2-Ausstoß von 69 auf 13 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter im Jahr. Das bedeutet ein großes Plus für die Umwelt: Mehr als ein Viertel des Endenergieverbrauchs in Hessen fallen heute beim Heizen und bei der Warmwassererzeugung an.
Wohneinheiten modernisiert die Nassauische Heimstätte 2019 und 2020 mit Hilfe des grünen Schuldscheins
Das Projekt an der Bürgeler Straße ist auch eine Art Pilotprojekt, um in der Realität zu testen, wie eine möglichst regenerative Versorgung mit Wärme und Strom aussehen kann. Es ist Teil eines großen Sanierungsprogramms, mit dem die Nassauische Heimstätte ihren Gebäudebestand bis zum Jahr 2050 klimaneutral weiterentwickeln will. Ein erstes Beispiel dafür war die Adolf-Miersch-Siedlung in Frankfurt, die aus den 1950er-Jahren stammt und nach der Modernisierung ein Gold-Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen erhielt.
Henning Löwer, Leiter Unternehmensfinanzierung bei der Nassauischen Heimstätte
Um die hohen Kosten zu finanzieren, ging die Unternehmensgruppe einen besonderen Weg. „Als eines der ersten deutschen Wohnungsunternehmen haben wir ein grünes Schuldscheindarlehen am Kapitalmarkt aufgenommen“, erklärt Henning Löwer. Mit Laufzeiten von zehn, 15 und 20 Jahren sammelte die Unternehmensgruppe insgesamt 80 Millionen Euro ein. Ergänzt wurde die grüne Finanzierung durch Namensschuldverschreibungen über Laufzeiten bis 30 Jahren, mit denen das gesamte Volumen auf 180 Millionen Euro stieg. „Die Transaktion war so erfolgreich, dass sie mehrfach überzeichnet war“, sagt Klaus Peter Schommer. Der Finanzierungsexperte der Helaba setzte mit seinem Team das Instrument auf, das auch für ihn ein ungewöhnliches Vorgehen bedeutet. „Wohnungsbauunternehmen mit kommunalem Hintergrund finanzieren traditionell, indem sie eine Grundschuld eintragen lassen. Das Geschäft wird dazu bei uns über die Immobilienabteilung abgewickelt.“ Bei der Nassauischen Heimstätte ging es nun um eine Finanzierung am Kapitalmarkt in ungesicherter Form. „Das erfordert eine ganz andere Vorbereitung.“
Klaus Peter Schommer, Finanzierungsexperte der Helaba
Für das Wohnungsunternehmen passt das Konzept perfekt. Es fügt sich nahtlos in die Nachhaltigkeitsstrategie ein, die das Unternehmen in den vergangenen Jahren erarbeitet hat. Seit 2014 hat die Unternehmensgruppe acht Handlungsfelder definiert, die auf ökologische, soziale und ökonomische Prinzipien untersucht wurden. Neben Themen wie Beschaffung, Mitarbeitende oder Mobilitätskonzepte gehören dazu eben auch Bau und Betrieb sowie die Finanzierung. „Nach intensiver Vorarbeit haben wir ein Nachhaltigkeits-Rating bei der Agentur ISS-oekom beauftragt. Anschließend haben wir eine so genannte Second Party Opinion eingeholt, die ähnlich wie ein Kredit-Rating im Finanzbereich objektiv und unabhängig die nachhaltige Bonität beurteilt“, erklärt Gregor Steiger das Verfahren. „Daraufhin konnten wir den grünen Schuldschein auflegen, weil wir die Nachhaltigkeit unseres Investments belegen konnten.“ Diese Beweisführung funktioniert dabei sehr einfach: Mit den Energieausweisen der Häuser vor und nach den Maßnahmen lässt sich die Veränderung auf einen Blick nachweisen.
Gregor Steiger, Nachhaltigkeitsmanager bei der Nassauischen Heimstätte
Für seinen Kollegen Henning Löwer ist das Finanzierungsinstrument zudem nicht nur wegen seines grünen Hintergrunds interessant. „Wir beobachten den Markt genau und haben den Schuldschein an sich als sehr interessantes Modell identifiziert. Mit unserer guten Bonität konnten wir hier mit einer großen Nachfrage rechnen.“ Das bestätigt auch Klaus Peter Schommer von der Helaba: „Der kommunale Hintergrund der Nassauischen Heimstätte bietet eine große Sicherheit. Dazu kommt, dass wir sehr attraktive Margen für den Emittenten, aber auch für die Investoren erreichen konnten.“ Außerdem ist das nachhaltige Investment in einem sowieso sehr überhitzten Wohnungsmarkt in Frankfurt ein weiteres Argument, dass sich Investoren dafür interessieren. Das liegt auch daran, dass die Helaba mit dem Instrument eine Entwicklung aufgegriffen hat, die fortwährend stärker wird: „Investoren haben in ihren Anlagerichtlinien immer öfter festgeschrieben, dass ein bestimmter Anteil ihrer Investments nachhaltig ist – und das muss auch bewiesenermaßen so sein, um kein Greenwashing zu betreiben“, sagt Schommer.
Ein weiterer Vorteil des Schuldscheinmodells ist die komplett digitale Abwicklung über die Plattform des Fintech-Start-ups vc trade. Auf ihr findet der Produktions- und Vertriebsprozess statt, von der ersten Ideenfindung über die Anfragen der Bank an die Investoren bis hin zur Führung des Orderbuchs. „Für die Emittenten wie auch die Zeichner – und uns als ausgebende Bank – wird der Prozess effizienter, transparenter und am Ende auch günstiger“, sagt Klaus Peter Schommer. Gleichzeitig wächst auch die Zielgruppe, die mit dem Schuldschein erreicht werden kann, auf der digitalen Plattform stetig. „Die Schuldscheinplattform vc trade hat mittlerweile nahezu den gesamten Sparkassensektor an Bord, aber auch viele institutionelle Anleger – insgesamt sind es mehr als 500 Investoren.“
Auch deswegen kann sich die Nassauische Heimstätte ähnliche Finanzierungsmodelle für die Zukunft gut vorstellen. „Wir investieren viel, um Gebäude zu modernisieren oder zu kaufen oder auch ganz neue Wohnkomplexe zu bauen“, sagt Henning Löwer. Dafür benötigt das Unternehmen immer wieder Fremdmittel. „Für den grünen Schuldschein spricht auch, dass er lange Laufzeiten hat und nicht besichert werden muss. Außerdem haben wir nun viel Arbeit investiert, weil wir unser gesamtes Unternehmen und das Projekt dem Rating unterziehen mussten“, erklärt der Finanzexperte. „Unsere Hausaufgaben haben wir gemacht. Kommende Investitionen wieder über das Modell des grünen Schuldscheins zu finanzieren, liegt für uns nun sehr nahe.“
Ein Schuldschein ist ein handelbares Darlehen, das ein Darlehensnehmer über eine Bank begibt, um von mehreren Partnern Kredite zu bekommen. In den meisten Fällen sind es Banken, Sparkassen und Volksbanken, aber auch institutionelle Investoren wie Pensionskassen oder Versicherungen. Die Helaba hat das Finanzierungsinstrument Mitte der 1990er-Jahre für Unternehmen entwickelt und seither ständig verbessert. Während der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 finanzierten immer mehr Unternehmen ihre Investitionen über einen Schuldschein, weil die Emissionstätigkeit für Unternehmensanleihen zum Erliegen kam. „Grün“ wird das Instrument genannt, wenn es für nachhaltige Projekte genutzt wird. Diese werden vorab nach strengen Maßstäben von darauf spezialisierten Rating-Agenturen überprüft.
wird die Unternehmensgruppe bis 2023 in den Neubau von Wohnungen und die Modernisierung des Gebäudebestands stecken.